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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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zuckte mit den Schultern. Ich würde nie an das Ende dessen gelangen, was in diesen Koffern war, diese Frauen, diese Männer, was sie mir bedeuteten. Diese Räume waren nur der Anfang. Es gab Koffer innerhalb der Koffer, die ich noch gar nicht auszupacken begonnen hatte. Du willst erinnern, also erinnere einfach .
    Ich schob meine Hände unter das Wollhemd, das ich ihm auf dem Flohmarkt gekauft hatte. Er zuckte von der Kälte zusammen, ließ sie mich dann aber an seinen dünnen Rippen wärmen. Während wir näher aneinander rückten und uns leise etwas in den Nacken murmelten, rutschte die Herald Tribune vom Federbett herunter, fiel in einer weichen Kaskade auf den Boden und begrub meine Mutter unter ihren Schlagzeilen, den Nachrichten über andere Krisen und Persönlichkeiten. Wir streiften unsere Jacken und Hosen ab, um miteinander zu schlafen, behielten aber Hemden und Socken an. Ich wusste, ich traf eine Wahl. Das hier, jetzt, Koffer, Paul. Es war mein Leben, Teil des Charakters, nicht Versehen, in Stein gebrannt.
    Hinterher lag ich da und starrte auf die Muster an den fleckigen Wänden, die Wirkung der Straßenbeleuchtung, die in unsere Fenster schien und Formen wie Vogelfüße entstehen ließ. Neben mir schlief Paul, ein Kissen fest über das Gesicht gestopft, Ergebnis seiner vielen Jahre in Pflegeheimen, um nicht mehr zu hören, als er unbedingt musste. Ich schlüpfte unter der Bettdecke hervor, zog meine eiskalten, klammen Jeans und einen Pullover über und zündete die Gasflamme unter dem Kessel an, um mir einen Nescafé zu machen. Was würde ich für eine Tasse von Olivias dickem schwarzem Kaffee geben, so dunkel, dass er noch nicht mal hell wurde, wenn man Milch hineingoss. Ich rollte mir eine Zigarette aus Pauls Tabak und wartete darauf, dass das Wasser kochte.
    In Kalifornien war es jetzt drei Uhr. Ich würde Paul nie erzählen, wie gern ich dort wäre; wie gern ich an einem sonnengewärmten, nach Salbei duftenden Februartag mit meiner Mutter in einem offenen Mustang an der Küste entlangfahren und einen vom Meer angetriebenen Fremden auflesen würde, mit einer Muschelkette um seinen schönen Hals. Wenn ich Paul erzählte, wie sehr mir L. A. fehlte, würde er mich für verrückt halten. Doch sie fehlte mir, diese vergiftete Stadt, Gulag verlassener Kinder, Archipel der Reue. Ich sehnte mich sogar jetzt danach; nach dem heißen Wind, der nach Sumach und Kreosotbusch roch, dem Rascheln des Eukalyptusbaumes, den Nächten mit den Sternen, die am falschen Platz waren. Ich musste an den verfallenen Taubenschlag hinter dem Haus am St. Andrew’s Place denken, über den meine Mutter mal ein Gedicht geschrieben hatte. Wie es sie gestört hatte, dass die Tauben nicht verschwinden wollten, obwohl der Kaninchendraht längst zusammengebrochen war, die Holzleisten eingestürzt. Doch ich konnte sie verstehen. Sie gehörten dorthin, Schatten im Sommer, ihre traurigen Holzflötenrufe. Wo auch immer sie waren, sie würden versuchen, dorthin zurückzukehren; es war wie das letzte Stück eines Puzzles, das verloren gegangen war.
    Der Kessel pfiff, und ich machte meinen Nescafé, rührte etwas Kondensmilch aus der Büchse ein und blickte zu den Wohnungen auf der anderen Seite des Hofes hinüber – der alte Mann, der fernsah und Pfefferminzschnaps trank, ein Mann beim Geschirrspülen, eine Frau, die malte – während auf der anderen Seite der Erdkugel Kalifornien am ausgefransten Abgrund des Jahrhunderts schimmerte, an einem leuchtenden Nachmittag, der nach Liebe und Mord duftete. In der Wohnung unter uns schrie das Neugeborene der Nachbarn, rhythmisch, eine hohe, dünne Tonfolge.
    Ich drückte die Handfläche gegen die zugefrorene Scheibe, ließ die Wärme meines Körpers das Eis schmelzen und hinterließ einen perfekten Umriss auf dem dunklen Glas. Doch ich dachte an Licht, das durch weiße Vorhänge hereinfiel, an den Duft nach Ozean und Salbei und frischer Wäsche. Aus dem Schallbecken des Innenhofes klangen Stimmen und Musik, eine kratzige Aufnahme der Dietrich, die »Ich bin von Kopf bis Fuß« sang, doch in meinem Kopf hörte ich die sich wiederholenden Schreie des Rotschulterbussards, das schwache Rascheln der Eidechsen im ausgetrockneten Wash, das Schaben der Palmen und das kaum wahrnehmbare Seufzen fallender Rosenblätter. Im dunklen Abdruck der Hand konnte ich mein verschwommenes Spiegelbild sehen, aber auch das Gesicht meiner Mutter. Es schimmerte auf einem Dach über einer unerkennbaren Stadt und sprach zum

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