Weißer Schatten
Verfahren. Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Im BMW betrachtete Emma die Karte mit voller Konzentration. Ich richtete den kalten Strom der Klimaanlage auf meine Stirn.
Eine große Erleichterung. Emma schaute auf. »Können wir an einer Tankstelle halten? Ich möchte herausbekommen, wo das Mogale-Auswilderungszentrum
liegt.«
Ich fuhr los. »Natürlich, Mrs. le Roux«, wiederholte ich |73| Phatudis Anrede, ohne nachzudenken, und sie lachte in überraschend klaren, musikalischen Tönen.
»Der Inspector ist ein interessanter Mann«, sagte sie, als ihr Lachen verklungen war, und dann als Nachsatz: »Und Sie auch.«
In einer Kategorie mit dem Polizisten: Ich war nicht sicher, ob das fair war, aber ich würde darauf nicht reagieren.
»Sehen Sie, da ist eine Tankstelle, fragen wir dort …«
Ich blinkte und bog ab.
|74| 10
Das Auswilderungszentrum befand sich an den flachen Hängen des Mariepskop. Der Gipfel mit seinen bedrohlichen roten Abbrüchen
war ein machtvoller Bewacher der Umgegend.
Mogale Rehabilitation Centre
stand dort in lustigen grünen Buchstaben, dazu gab es ein Logo eines Raubvogelkopfes und die Einladung, sich näher zu informieren.
ZEITPLAN UNSERER AUSWILDERUNGS-TOUREN
Montags bis Samstag:
* Erste Tour beginnt um 09:30 Uhr *
Zweite Tour beginnt um 15:00 Uhr.
»Wir kommen zur rechten Zeit«, sagte Emma und stieg aus, um das Tor zu öffnen.
Ich fuhr hindurch. Hinter dem Tor befand sich ein weiterer Hinweis.
Wilde Tiere! Bitte bleiben Sie im Fahrzeug!
Emma stieg wieder ein. Einen Kilometer weiter sagte sie: »Sehen Sie?«, und zeigte auf einen Schwarm Geier, die sich um einen
Kadaver versammelt hatten. »Ich frage mich, ob sie die Vögel hier füttern?«
Das Zentrum war über mehrere Gebäude verteilt – Käfige, Gärten, Rasenflächen und überdachte Parkplätze.
Besucher: Bitte hier parken!
Ein junger Mann in Khaki und Grün, offensichtlich der Standarduniform im Lowveld, wartete ungeduldig am Tor. Wir stiegen aus.
»Wir fahren gleich los«, sagte er nicht unfreundlich. Er war einen Kopf größer als ich, hatte breite Schultern und strahlte
sportliche Selbstsicherheit aus. Emmas Typ.
Wir gingen hinein. Ein weiteres strohgedecktes Gebäude; ein Auditorium mit Holzbänken, die in Stufen zu einer Bühne herunterführten.
Das Publikum saß bereits da, große und kleine Leute, Kameras um die Hälse geschlungen und kühle |75| Getränkedosen in Händen. An die Wand hinter der Bühne war eine Szene aus der Wildnis gemalt: Greifvögel und Geier am Himmel,
ein Leopard, Hyänen und Wild im langen Gras zwischen den Dornenbäumen. Der junge Mann stellte sich in die Mitte der Bühne.
»Guten Morgen, meine Damen und Herren, und herzlich willkommen im Mogale-Auswilderungszentrum. Ich heiße Donnie Branca und
bin heute Morgen Ihr Guide.«
Er sah uns an und sagte: »Geier«, und für einen unsicheren Augenblick glaubte ich, dass er sein Publikum meinte. »Die sind
nicht kuschelig, nicht niedlich. Wir halten sie für ekelhafte Biester – sie streiten und kreischen an stinkenden Kadavern,
sie kämpfen um verwesendes Fleisch. Leichenfresser mit wachsamen Knopfaugen, dürren Hälsen und Hakenschnäbeln, oft über und
über beschmiert mit Blut. Ganz schön ekelhaft. Die meisten Leute mögen Geier also nicht. Aber ich sage Ihnen, wir hier in
Mogale mögen sie nicht nur, wir lieben sie. Voller Leidenschaft.«
Etwas am Ton und Auftreten von Donnie Branca kam mir irgendwie bekannt vor. Er sprach routiniert und eloquent, mit Überzeugung
und Leidenschaft.
Er sagte, Geier seien das Wild des Vogelreiches, eine unverzichtbare Verbindung zwischen Säugetieren und Vögeln im weiten
Spektrum der Natur. Sie waren eine ökologische Notwendigkeit, die Müllmänner des
veld
, die verwesende Kadaver vom Kopf bis zum Schwanz verzehren konnten, bevor sich Krankheiten ausbreiteten, die sonst Chaos
die Nahrungskette rauf und runter auslösen würden. Geier waren Teil des Gleichgewichts, sagte er; ein perfektes Gleichgewicht,
das den Lebenskreislauf in Afrika über hunderttausend Jahre bestimmt hatte.
»Bis wir, die Menschen, das Gleichgewicht gestört haben.«
Branca ließ seine Worte sacken, bevor er fortfuhr. Das Problem mit den Geiern bestand darin, dass die öffentlichen und privaten
Tierschutzgebiete sie nicht einsperren konnten. Viele der Vögel agierten in Gebieten, die vier- oder fünfmal größer waren
als der Kruger-Nationalpark. Da begannen die Probleme. Sie nisteten in
Weitere Kostenlose Bücher