Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
Vom Netzwerk:
war. Er kannte ihn bloß von Fotos. Wenigstens gehörte ihnen das Haus, in dem sie lebten, sodass sie keine Miete zahlen mussten. Was den Rest betraf, brachte seine Mutter sie beide irgendwie mit Putzen über die Runden. Montags bis freitags schuftete sie bei allen im Ort, die sich eine Putzfrau leisten konnten. Zu Hause musste Robert ran. Das hatte angefangen, als er acht geworden und seine Mutter erstmals so blau gewesen war, dass sie seinen Geburtstag vergessen hatte. Inzwischen war er aber ganz gut organisiert. Organisation war überhaupt alles, wie er schon vor langer Zeit festgestellt hatte. Wenigstens hatte seine Mutter die Sauferei unter der Woche wieder einigermaßen im Griff. Doch spätestens ab Freitag war dann Ende im Gelände. Sie schüttete sich dann drei Tage lang so zu, dass er bereits einige Male den Notarzt unten aus Berchtesgaden hatte rufen müssen, um ihr den Magen auspumpen zu lassen. Jeder in Perchtal wusste, wie es um seine Mutter stand, doch keiner sagte etwas. Die Blicke, die man ihm auf der Straße zuwarf, sprachen natürlich trotzdem Bände. Fuck off!
    Robert ging in die Küche, um einen Eimer mit warmem Wasser und einen Lappen zu besorgen. Mit beidem bewaffnet, trat er zu seiner Mutter, knipste den Fernseher aus und wischte ihr das Erbrochene von den Lippen. Er ekelte sich.
    »Stefan …?«, lallte seine Mutter. Sie öffnete die Lider und starrte ihn mit glasigem Blick an.
    »Nein, Mama. Ich bin’s. Robert.« Er hatte keine Ahnung, warum sie ihn manchmal mit falschem Namen ansprach. »Du bist wieder vor dem Fernseher eingeschlafen. Du weißt doch, dass ich das nicht mag.«
    »Tut mir leid … Bub.« Seine Mutter kam nur langsam wieder zu sich und starrte verständnislos den Lappen in Roberts Hand an. Robert sah, dass sie den Inhalt der Flasche in ihrer Hand beim Schlafen verschüttet hatte. Rechts vom Sessel hatte sich eine Lache mit Weinbrand bis unter die Glasvitrine mit den Steinfiguren hin ausgebreitet, die sie früher gesammelt hatte. »Am besten, du gehst rüber ins Bad und wäschst dich, Mama. Du riechst furchtbar. Anschließend kannst du ja ins Schlafzimmer gehen und dich noch ein bisschen ausruhen.«
    »Ja … ja … Gestern ist es wohl etwas spät geworden.« Seine Mutter rülpste, und Robert wich vor ihrem Atem zurück. Dann mühte sie sich umständlich hoch, hielt sich an der Lehne fest und betrachtete ihren Sohn auf eine Weise, die Robert stets naheging. »Du bist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, Bub«, wisperte sie trunken. »Wie aus dem Gesicht geschnitten. Wenn du dich nur nicht so hässlich machen würdest.«
    Er hasste es, wenn sie seinen Vater erwähnte. »Wir müssen allein klarkommen, Mama. Das weißt du doch.«
    »Ja. Nein. Ich meine …« Seine Mutter fuhr mit der Hand fahrig durch die Luft, rang nach Worten und beschrieb eine Geste, die klarstellte, dass sie vergessen hatte, was sie sagen wollte. »Ich geh rüber. Ich … ich verspreche dir auch, nachher war Schönes zu kochen.«
    »Klar, Mama.« Robert wusste, was er von dem Versprechen zu halten hatte. Außerdem hatte er gestern schon festgestellt, dass sie kaum noch etwas Ordentliches da hatten. Er ärgerte sich über sich selbst, denn in der Haushaltsdose drüben in der Küche befand sich sogar ein Zehner, wie er eben festgestellt hatte. Eigentlich erledigte er die Einkäufe, schon um auf Nummer sicher zu gehen, dass seine Mutter ihr Verdientes nicht wieder in Fusel investierte. Das hatte er nun davon. Er und Andy hatten ja gestern unbedingt den ganzen Tag damit verplempern müssen, Spiele zu zocken. Jetzt war Sonntag, und die Läden waren geschlossen.
    Robert sah seiner Mutter dabei zu, wie sie in Richtung Flur torkelte, dann sammelte er die leeren Flaschen auf dem Wohnzimmertisch ein und stellte sie zu den anderen in die Küche. Drüben im Bad rauschte die Klospülung. Hoffentlich säuberte seine Mutter auch ihren Kittel. Er war noch nicht dazu gekommen, den anderen zu waschen. Anschließend besann er sich wieder des Putzeimers und eilte zurück, um die Weinbrandlache am Boden aufzuwischen. Inzwischen war es im Wohnzimmer so kalt, dass er sehen konnte, wie sein Atem zu kleinen Wölkchen gefror. Egal. Hauptsache, der schreckliche Geruch verflog.
    Robert warf den Wischlappen zurück in den Eimer und sah zu seinem Erstaunen, dass der Fernseher wieder lief. Nur dass auf der Mattscheibe grauer Schnee zu sehen war. Offenbar war die Antenne oben auf dem Dach von den Schneemassen beschädigt worden. Robert

Weitere Kostenlose Bücher