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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Wahn, in den sich ihre Eltern hineinsteigerten, schlimmer. Letztes Jahr hatte ihr Vater sogar überlegt, sie beide von der Schule abzumelden, um sie selbst zu unterrichten. Glücklicherweise hatte er diese Idee nicht weiter verfolgt.
    »Und habe ich euch nicht immer wieder beschworen, dass ihr euch von den weltlichen Verlockungen fernhalten sollt?« Vaters Faust schloss sich fester um das Kreuz; er streckte es seinen Töchtern mit einem Gesichtsausdruck entgegen, der blanke Wut zum Ausdruck brachte.
    »Ja, Vater. Hast du.«
    »Dann erkläre mir, Elke«, schrie er plötzlich los, »warum ich das hier in deinem Schulranzen gefunden habe!« Seine Linke klaubte aus der Hosentasche einen Zettel hervor und warf ihn neben den Adventskranz. Die Kerzen flackerten, und Elke starrte wie betäubt auf das Stück Papier mit Andys Schriftzug. Oh Gott! Darum also ging es. Sie war sich sicher gewesen, sie hätte den Zettel gut in ihrem Füllermäppchen versteckt. Sie schluckte.
    »Du weißt, was darauf steht?« Ihr Vater trat lauernd an den Tisch. Elke nickte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie waren echt.
    »Dann lass die Familie teilhaben an deiner Verfehlung, die allein schuld ist daran, dass wir heute nicht in die Kirche gehen können. Lies vor. Lies laut vor!«
    Elke griff zögernd nach dem Stück Papier, sah kurz zu Miriam auf, die ebenso blass geworden war wie sie selbst, und strich es glatt. Das war so demütigend.
    »Liebe Elke …«, hub sie stockend an. »Tut mir leid, dass ich dich gestern geärgert habe …« Verdammt, sie war 15 Jahre alt. Was glaubte ihr Vater denn? Zugleich erfüllten sie Andys Zeilen mit Stolz. »Ich finde Jutta aus der 9c gar nicht so toll. In Wahrheit bist du … das schönste Mädchen, das ich kenne. Möchtest du …« Sie verstummte.
    »Lies weiter!«
    »Möchtest du mit mir gehen …?« Ihre Stimme war nur noch ein leises Flüstern.
    Vater riss ihr den Zettel wütend aus der Hand und hielt ihn für jeden im Raum sichtbar hoch. Unter der Schrift waren drei Kästchen zu sehen, über denen Andy Ja, Nein und Vielleicht geschrieben hatte.
    Das Kästchen mit dem Ja war angekreuzt.
    »Wie konntest du nur?!«, donnerte ihr Vater los. »Schämst du dich nicht? Wir haben euch beide doch nicht zu Huren erzogen!«
    »Aber das ist doch bloß …«, wollte ihr Miriam beistehen, aber Vater schnitt ihr das Wort ab. »Halte den Mund, Miriam! Du bist nicht viel besser als deine Schwester. Ich kenne euch beide. Es gibt nichts, was die eine von euch tut, ohne dass die andere darum wüsste. Du hast damit ebenso viel Schuld auf dich geladen wie deine Schwester. Und jetzt sag mir, Elke: Wer ist dieser Junge?«
    Tränen brannten auf Elkes Wangen, doch sie schwieg.
    »Sag es mir!« Vater brüllte nun derart, dass ihm Speichel aus dem Mund flog. Elke zuckte zusammen, denn für einen Moment sah es so aus, als wolle er sie mit dem Kreuz schlagen.
    »Nein, Joseph … Tu das nicht!« Ihre Mutter erhob sich, eilte hastig um den Tisch herum und fiel ihrem Mann in den Arm. »Sie sind doch unsere Engelchen. Gott hat sie uns anvertraut.
    Das darfst du nicht vergessen. Unsere Aufgabe ist es, sie zu schützen.«
    Elke sah, dass Miriam ebenso erschrocken dreinblickte wie sie selbst. Ihre Mutter sagte nicht oft etwas und fügte sich normalerweise ganz dem gestrengen Vater. Dass sie dennoch eingriff, bewies, wie ernst es heute stand. Vater ließ das Kreuz langsam sinken und trat schwer atmend zurück. »Ja, ich weiß … Wir müssen sie schützen. Vor sich selbst …« Ein fanatischer Glanz stahl sich in seine Augen. »Fast hättest du mich dazu gebracht, mich an euch zu versündigen, Elke. Fast. So weit ist es schon gekommen.«
    »Es tut mir leid«, wisperte sie. In Wahrheit hätte Elke am liebsten geschrien.
    »Der Name.«
    Elke schwieg noch immer.
    »Du denkst wohl, ich werde ihn nicht herausfinden? Du denkst falsch!« Die Hand ihres Vaters zuckte vor und hielt den Zettel in eine der Kerzenflammen. »Ich werde diesem Teufel schon beibringen, dass sich niemand an unseren Engeln vergreift. Niemand!« Voller Abscheu warf er Andys brennendes Liebesgeständnis auf den Boden. Bevor Elke wusste, was sie tat, sprang sie dem Zettel hinterher und trat die Flammen mit den Schuhen aus. »Du bist so gemein!«
    Vater packte sie grob im Genick. »So steht es also um dich! Du und deine Schwester, ihr beide werdet vor dem Herrn selbst Abbitte schwören. Und ich werde dafür sorgen, dass es nicht bei einem schnöden Lippenbekenntnis

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