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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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seiner Seite gelang es ihm, die Hände um den Hals seines Rivalen zu legen. Der Junge war schmächtiger, als Harness gehofft hatte, aber er war temperamentvoll. Versuchte, die Möbel umzutreten, und schrie um Hilfe. Sie rangen auf dem Boden. Schließlich griff Harness –  für einen erhabenen Moment befreit von seinen Atembeklemmungen und gestärkt durch einen kräftigen Adrenalinstoß – nach einem Kissen, legte es auf das Gesicht des Jungen und drückte und drückte. Das triumphale Grinsen auf seinem Gesichtwurde immer breiter. Ja. ja, schluck das, wenn du kannst. Diese Worte kamen ihm über die Lippen, während er sich – selbst als sich sein Opfer nicht mehr regte – aus reiner Freude an seiner Überlegenheit weiterhin auf das Kissen stützte.
    Irgendwann sank er vollkommen erschöpft zurück. Er schloss die Augen und wischte sich das Kinn ab.
    Er machte die Augen wieder auf.
    Er hatte eine Idee.
    Er würde seinem Geliebten sagen, was er getan hatte. Nicht mit Worten, sondern mit einem Zeichen. Einem Symbol. Mit müder Hand nahm er den Ring ab, den er seit dem Tag zuvor an seinem linken Ringfinger trug. Nahm die noch warme Hand seines Widersachers und steckte ihm den Ring an. Er ging nicht ganz über den Finger, aber das spielte keine Rolle. Es war sogar noch besser, weil er sofort auffiel. Sein Geliebter würde ihn sehen und alles verstehen.
    Mit einem zufriedenen Lächeln kämpfte sich Harness auf die Füße. Er war in Schweiß gebadet, und allmählich wurde ihm kalt. Das Adrenalin, das ihn vom Meilen entfernten London bis hierher (im Geheimen) gebracht hatte, verebbte. Die Substanz, die er sich vom Kinn gewischt hatte, klebte an seiner Hand, zwischen den Fingern. Er betrachtete sie genauer. Blut. Sein eigenes? Von einer Wunde? Nein, es war aus seinem Mund getropft. Und vor diesem roten, klebrigen, feuchten Blut hatten ihn die Ärzte gewarnt; das rostfarbene, ältere Blut war besser. Dies hier war arterielles Blut.
    Seine Hochstimmung verflog. Er schwankte. Blieb nur noch eines: Er musste das Kissen hochheben und seinem toten Feind ins Gesicht schauen. Um den Triumph voll auskosten zu können.
    Er streckte die Hand nach dem Kissen aus und zog an einem Zipfel. Das Gesicht. Ja, es färbte sich blau; ja, der Mund war verzogen – ein Tod im Kampf. Das alles nahm Harness jedoch kaum wahr. Denn als er das Kissen wegzog, kamen auch … geflochtene Haare zum Vorschein.
    Frauenhaar .
    Das lange Haar war unter der Kappe verborgen gewesen .
    Eine Frau . Harness hatte eine Frau getötet.
    Er warf das Kissen beiseite und öffnete wütend und mit blutiger Hand das Hemd des Leichnams. Er sah Bandagen über dem Brustkorb und riss sie auf: Frauenbrüste . Zusammengedrückt durch die Bandage. Verwirrung überflutete ihn. Eine Frau? Ein verkleidetes Mädchen? Wo war der Junge, von dem er gehört hatte? Wo war sein Rivale? Wer war die Person, die er umgebracht hatte? Warum war sie hier? Eine Diebin? Eine Fremde? Ein Zimmermädchen? Eine Gespielin?
    Er starrte die Tote an und begriff, dass er die falsche Person ermordet hatte. Und – was noch bedeutender war – er wusste, dass er nicht mehr die Kraft hatte, noch einmal zu töten. Vorher würde er sterben. Das war ihm jetzt klar. Der Schock durchbohrte Harness’ Brust wie ein Spieß. Der Schleim in seiner Lunge machte sich bemerkbar. Harness fiel. Er war auf allen vieren, als ihn der schlimmste Hustenanfall, den er je erlebt hatte, erschütterte. Er begann in den Hüften und rollte vorwärts, bis er seine Zähne erreichte; mit der zweiten Welle kam ein Schwall aus Blut. Er kroch durch die Pfütze. Seine Kutsche wartete. Er hatte genug bezahlt, um unliebsame Fragen – auch nach dem Blut an seinen Knien – zu verhindern. Aber würde er den Weg zu seinem Gefährt schaffen? Er würde sich vorwärtsschleppen müssen. Er hielt sich am Fenstersims fest und kämpftesich Stück für Stück auf die Beine. Mit angehaltenem Atem machte er sich auf den Weg  … beeile dich   … Die nackte, kindische Angst, festgenommen und ins Gefängnis geworfen zu werden, packte ihn. Er wischte sich sorgfältig das Gesicht mit einem Taschentuch ab …
    Andrew stand in dem Hotelzimmer Die Stille pulsierte nach dem Sturm der Gewalt. Er befand sich immer noch in seiner Vision, in Harness’ Welt. Er hielt die Augen geschlossen, dennoch wusste er, was er sehen würde, wenn er sie öffnete. Die Tote auf dem Boden. Das Gesicht des Opfers. Du bist der Dreh- und Angelpunkt in alldem, Andrew. Du

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