Weißer Teufel
was anderes einfallen.
Oh, das hab ich ganz vergessen, er trifft sich mit einem Freund seiner Familie in London .
Und er fährt mit der U-Bahn? Grauenvoller Gedanke!
Zu schnell kamen sie vor dem Lot an.
»Ich war noch nie in einem Wohnhaus eines Jungeninternats«, sagte Pickles neugierig. »Hier leben die Sprösslinge von den Reichen und Berühmten, oder?«
Fawkes stieg die Außenstufen hinauf wie ein Mann, der zum Schafott ging. Was werden sie mit mir machen?, fragte er sich. Hatte die Gesundheitsbehörde die Befugnis, ihn zu verklagen? Wegen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit? Vielleicht konnten sie einen Arrest oder eine Gefängnisstrafe empfehlen. »Tut mir leid«, erklärte Fawkes. »Kann ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten? Wieungehobelt, dass ich das vergessen habe! Es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, dabei müssen Sie …«
»Mir geht’s gut«, schnitt ihm Pickles das Wort ab. »Bringen wir’s hinter uns. Danach … vielleicht ein Bier in dem Inn?« Wieder ein Zwinkern. Fawkes malte sich in düsteren Farben aus, wie er mit diesem Bürokraten versumpfte.
»Lange Treppe«, entschuldigte sich Fawkes. »Wollen Sie ein wenig rasten?«
»Ich schaffe das schon.«
Sie erreichten Andrews Flur. Durch die Ritze unter seiner Zimmertür schimmerte Licht. Fawkes’ Herz machte einen Satz. »Ah!«, quietschte er mit hoher Stimme. »Da ist er!«
Fawkes stieß die Tür auf. Andrew saß in Schuluniform an seinem Drucker und nahm die Blätter heraus, die das Gerät ausspuckte. Er hatte schon einen ganzen Stapel in der Hand. Er drehte sich um, sah seinen Hausvater und sprang auf.
»Wo waren Sie? Wir müssen zu Dr. Kahn – sofort! Persephone ist krank! Ich weiß, warum – es ist schlimmer, als wir dachten …«
Pickles kam hinter Fawkes ins Zimmer. Andrew verstummte.
»Es ist noch jemand krank geworden, sagen Sie?«, hakte Pickles nach.
»Ah.« Andrew war wie vom Donner gerührt. Fawkes machte ihn mit dem Mann von der HPA bekannt. Das gab ihm Zeit, sich zu erholen. »Nur jemand … aus dem Theaterstück, das wir proben.« Er strich sich über den Hals. »Halsentzündung.«
»Andrew«, begann Fawkes – sein Blick bohrte sich inAndrew und übermittelte ihm, den Mund zu halten. »Du musst ein paar Sachen zusammenpacken.«
Hatte Pickles Verdacht geschöpft? Er saß schweigend auf dem Rücksitz. Andrew hatte auf dem Beifahrersitz des mit Zigarettenbrandlöchern übersäten Citroën Platz genommen und starrte geradeaus. Es war ihm gelungen, Fawkes beiseitezunehmen, um ihm im Flüsterton zu erzählen, was mit Persephone geschehen war.
»Hast du mit Sir Alan gesprochen?«, wollte Fawkes wissen, als Andrew zum Ende kam.
»Nein! Ich hatte keine Zeit. Ich bin gerade erst zurückgekommen.«
»Er muss davon erfahren.«
»Sie ist bei Bewusstsein und wird die Schwestern bitten, ihm Bescheid zu geben.«
»Warum bist du gefahren, Andrew ?«, zischte Fawkes aufgebracht. »Und wieso, zum Teufel, hast du sie mitgenommen? Ich hab dir doch gesagt …« Mr. Pickles kam auf sie zu und sah sie fragend an. Sie warfen Andrews Reisetasche in den Kofferraum und schlugen die Klappe zu.
Nebel hatte sich über den Hügel gesenkt. Sie fuhren höchstens eine halbe Meile, doch auf der kurvigen Straße ohne Gehsteige kam ihnen der Weg viel länger vor. Andrew hatte das Gefühl, Abschied zu nehmen – vom Campus, dem Hügel, den Geschäften mit den hübsch gemalten Ladenschildern, den schmiedeeisernen Geländern und Stützpfeilern. Das alles war ihm vertraut geworden. Außerhalb dieses geschützten Bereiches, in dem das Wissen von Jahrhunderten kultiviert wurde, kam sich Andrew wie ein Ausgestoßener vor. Innerhalb der Campusgrenzen hatte die Vergangenheit ein Zuhause gefunden. Nur ein Ort wie Harrow, dachte er finster, als Fawkes die Green Lane hinunterfuhr, kann einen John Harness beherbergen.
Nach wenigen Minuten schwenkte Fawkes auf einen kleinen Parkplatz neben einer staubigen Durchfahrtsstraße ein. Er zog ruckartig die Handbremse hoch. »Wir sind da.« Andrew warf einen Blick auf den Hügel zu ihrer Linken und begriff, dass sie einen weiten Bogen um das Dorf auf der Nordseite gemacht hatten. Der Turm der Kapelle ragte fast direkt über ihnen in die Dunkelheit.
Das Haus neben ihnen war nur durch eine einen Meter hohe Ziegelmauer von der Straße getrennt. Es war typisch für diese Gegend: ein verwinkeltes, altes Gebäude mit zu vielen Anbauten und Eingängen und dicken Farbschichten. Ein geschnitztes Schild,
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