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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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befand sich im Speech Room.
    »Du bist fünfzehn Minuten zu spät«, schalt dieselbe Stimme. »Zur ersten Probe. Mein Gott, was für ein Ego. Los, setz dich irgendwohin. Du bist zumindest nicht der Letzte. Niemand –  nicht einmal die Hauptdarsteller  – kommt zu spät zu den Proben, verstanden? Das gehört zu meinen Grundregeln. Wir werden auch ohne irgendwelche Allüren genügend Probleme haben, dieses Theaterstück auf die Beine zu stellen. Für den Anfang wäre es ganz nett, ein Skript zu haben.«
    Andrew stand noch an der Tür. Abends wirkte der Speech Room wärmer, behaglicher. Die rostbraune Wandfarbe, die goldenen Highlights, die Säulen, die wie schlanke Bäume emporragten. Ein Dutzend Schüler hatte sich über die ersten zwei Stuhlreihen verteilt. Irgendetwas war eigenartig an dieser Szenerie, aber Andrew konnte es nicht benennen. Auf der Bühne stand ein kleiner Mann von etwa fünfundvierzig Jahren mit Nickelbrille und gegeltem Haar. Sein gutaussehendes Gesicht war kantig. Der finstereBlick und der Rollkragenpullover aus weißer Wolle verliehen ihm das Aussehen eines richtig wütenden Lammes.
    Plötzlich fiel Andrew ein, was so seltsam war. Einige der hier Versammelten waren Mädchen.
    Natürlich, Hugh hatte beim Mittagessen darüber gesprochen. Fawkes sieht sich als Ikonoklast, hatte Hugh ihm in der gekünstelt wissenden und hinterhältigen Manier der Theaterleute anvertraut. Fawkes hat Mädchen vom North London Collegiate für die weiblichen Rollen im Byron-Stück engagiert. Es heißt, damit will er den Rektor ärgern, weil unsere Jungs eigentlich auch diese Rollen spielen sollten. Das ist Tradition in Harrow, fügte Hugh hochnäsig hinzu. Wenn es gut genug für Shakespeare war, sollte es auch für Piers Fawkes reichen. Da waren drei, vier – zählte Andrew –, mit Persephone fünf Mädchen. Sie waren sorgfältig, aber nicht herausfordernd gekleidet, so dass sie die Aufmerksamkeit der Jungs nicht zu sehr anstachelten – es gab nur zwei Ausnahmen. Eine trug ein aufreizend kurzes braunes Kleid, schwarze Strümpfe umschlossen die wohlgeformten Beine; sie hatte üppige, schokoladenbraune Locken mit stylischem Pony. Der Platz neben ihr in der ersten Reihe war unbesetzt. Gleich hinter ihr saß Persephone. Andrew musste lächeln. Sie trug die Harrow-Uniform: grauer Rock, weiße Bluse und eine schwarze Krawatte. Sie war das einzige Mädchen, das sich so kleiden durfte. Sie hatte sich zwischen den blassen Hugh und einen rothaarigen Jungen gezwängt, an dem sie großes Interesse zu haben schien. Sie drehte sich weg von Andrew zu dem Rothaarigen, während Andrew die Blicke aller anderen spürte und das Getuschel hörte: Byron … Amerikaner und etwas leiser Theo Ryder . Er beschwor Persephone im Stillen,sich zu ihm zu wenden, aber sie tat es nicht. Sein Lächeln verblasste. Eine rachsüchtige Hand führte ihn zu dem Platz neben dem Mädchen mit den schwarzen Strümpfen und dem kurzen Rock.
    Er setzte sich und wartete einen Augenblick, dann beugte er sich zu ihr.
    »Wer ist dieser Typ?«, raunte er ihr ins Ohr und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Mann auf der Bühne.
    Parfümierte braune Haarsträhnen streiften Andrews Wange. Weibliche Berührung. Seine Haut prickelte. Er fragte sich, ob Persephone ihn beobachtete oder ob sie so mit dem Rotschopf beschäftigt war, dass sie ihn gar nicht wahrnahm.
    »Der Regisseur? Das ist James Honey«, flüsterte das Mädchen mit dem kurzen Rock zurück. »Er war vor Jahren Schüler in Harrow. Royal Shakespeare, dann acht Spielzeiten Nebula als der Cyborg-Führer.« Sie legte eine Pause ein. »Er unterrichtet jetzt hier. Wusstest du das nicht?«
    Nein, das hatte er nicht gewusst. »Worauf warten wir noch?«
    »Auf Piers Fawkes. Er ist das echte Ego«, sagte sie.
    »Tatsächlich?«, fragte Andrew nach. An dem Abend mit Fawkes hatte er den Eindruck gewonnen, dass der Mann viel über die Dichtkunst wusste und vielleicht ein gesundes professionelles Ego besaß. Doch ihm war noch etwas aufgefallen: ein Mangel an Förmlichkeit, eine Ernsthaftigkeit, was seine Arbeit betraf. Das hatte Andrew gefallen. Dennoch schienen die Leute ungut auf Fawkes zu reagieren, und Andrew fragte sich nach dem Grund.
    »Na ja, er ist ein Whitestone-Gewinner«, sagte sie mit gerümpfter Nase.
    Vielleicht ist es das, überlegte Andrew.
    »Aber er hat den Preis für eine Gedichtsammlung bekommen, die er vor sechzehn Jahren geschrieben hat«, fügte sie hinzu. (Das ist das andere, dachte Andrew;

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