Weißer Teufel
heißt es ›Das Fieber von Messolonghi‹. Bis ich es eventuell noch einmal umbenenne.« Er nahm sich die erste Seite des Skripts vor. »Wir gesellen uns gegen Ende seines Lebens zu Byron. Mit nur sechsunddreißig – noch sehr jung, was, James? – stirbt er an einem Fieber in Messolonghi in Griechenland, nachdem er sich der Unabhängigkeitsbewegung der Griechen von den Türken angeschlossen hatte. Sein Freund, ein Rüstungsoffizier, überredet ihn, seine Lebensgeschichte zu erzählen.« Fawkes machte eine Pause, um die Aussage wirken zu lassen. » Um herauszufinden, wer Byrons wahre Liebe war . Es gibt viele, sehr viele, unter denen man auswählen könnte«, fügte er grinsend hinzu. »Byron war, sagen wir, ein hochmotivierter Liebhaber. Ich möchte euch mit seinen Liebschaften bekannt machen. Ich lasse sie zu Byron kommen wie die Geister zu Scrooge. In chronologischer Reihenfolge.« Er deutete auf eine der Schülerinnen, ein dürres Mädchen mit kurzem rotem Haar und nervösem Gehabe.
»Lady Caroline Lamb«, kündigte er an. Das Mädchen stand auf. »Byron verbringt zwei Jahre im Ausland – er nennt das selbstauferlegtes Exil. Andere würden Ferien dazu sagen.« Damit erntete er verhaltenes Gelächter. »Er veröffentlicht die ersten beiden Gesänge von Childe Harold, und er wacht eines Morgens auf und ist plötzlich berühmt – das ist seine eigene Aussage. Mit einem Mal gilt er als echte Sensation und wird zu phantastischen Dinners in London eingeladen: augenscheinlich hält er nach einer Frau Ausschau. Allerdings tut er dann die verheiratete Caro auf – sein Kosename für sie. Sie ist verrücktnach ihm. Später wird deutlich, dass sie vollkommen verrückt ist. Gnadenlos verfolgt sie Byron; einmal verschafft sie sich als Page verkleidet Zugang zu seinen Räumen, ein anderes Mal schleicht sie sich in sein Arbeitszimmer und kritzelt Remember me! über die Seiten eines Buches. Byron antwortet mit einem Gedicht.« Fawkes nahm das grüne Buch, das Andrew von seinem »Vorsprechtermin« wiedererkannte.
»Remember thee! Aye, doubt it not.
Thy husband too shall think of thee:
By neither shalt thou be forgot,
Thou false to him, thou fiend to me!«
Die rothaarige Schauspielerin gab ein gespieltes dämonisches Gackern von sich und erzielte einen Lacher.
»Die Nächste. Miss Rebecca?« Fawkes zeigte auf das Mädchen in dem kurzen Rock. Rebecca erhob sich in einer Parfümwolke. Ihre schwarzen Strümpfe waren Andrew so verlockend nah, dass er glaubte, ihre statische Elektrizität zu spüren. »Annabella Milbanke. Die Historiker sind sich nicht einig über ihre Rolle. Opfer oder Täterin? Wie auch immer, Byron trifft die klassische Fehlentscheidung und heiratet sie. Er denkt, dass sie reich ist. Das ist sie nicht. Er denkt, er kann sie herumkommandieren. Das kann er nicht. Später spottet er im Don Juan über ihre Ehe.«
Fawkes las:
»Don José and the Donna Inez led
For some time an unhappy sort of life,
Wishing each other, not divorces, but dead.«
»Es war eine außergewöhnlich unglückliche Ehe. Und das aus gutem Grund. Während der ganzen Zeit unterhielt Lord Byron eine sexuelle Beziehung zu seiner Schwester. Oder besser Halbschwester, Augusta Leigh.« Er gestikulierte in Persephones Richtung, die wieder neben dem Rothaarigen Platz genommen hatte. »Miss Vine, darf ich bitten?«
Persephone stand auf.
»Er nimmt seine Halbschwester mit auf die Hochzeitsreise und erhält eine der erbärmlichsten, sadistischsten Ménages à trois in der Literaturgeschichte aufrecht; die Saat für Brontës Heathcliff. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich eine Menge Spaß damit hatte. Byron ist aufrichtiger: ›For thee, my own sweet sister, in thy heart/I know mysef secure, as thou in mine.‹ Er zeugt ein Kind mit seiner süßen Schwester …«
Annabella Milbanke – Rebecca – ächzte.
Fawkes grinste. »Und jetzt, da Byron einen nationalen Skandal heraufbeschworen hat, geht er ins wahre Exil – in die Schweiz, nach Italien, und nach langem Experimentieren verliebt er sich in Contessa Guiccioli. Stehen Sie auf, Amanda?« Ein molliges Mädchen erhob sich errötend.
»Mit Teresa Guiccioli pflegt Byron die gesündeste, hilfreichste, erwachsenste Beziehung seines Lebens. Keine Kräche, keine Wutausbrüche, kein Wahnsinn. Doch genau wie Byrons Poesie entwickelt sich seine späte Liebe vom Nachdenklichen zum Komischen, und sie ist eine Salon-Farce. Zum einen ist Teresa – typisch – verheiratet.
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