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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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wir weiter.« Sie schlug die nächste Seite auf. »Da ist es. Es gibt zwei Herzen, die so süß im Gleichtakt erschauern, dass sie, Puls an Puls, beide schlagen oder stillstehen. Puls an Puls heißt Haut an Haut, nicht wahr? Da geht es nicht um etwas Unerfülltes, sondern um zwei Menschen, die in jugendliche Liebe gehüllt sind.
    Es gibt zwei Seelen, die gemeinsam
    in einem sanften Strom treiben,
    und wenn sie sich trennen – trennen? – o nein!
    Sie können sich nicht voneinander lösen – sie sind eins.«
    Dr. Kahns Blick ruhte auf den Zeilen. »Sie können sich nicht voneinander lösen«, flüsterte sie. »Siehst du das Datum?« Sie hielt Andrew das Buch vor die Nase.
    »1807«, sagte er ruhig.
    »Ja. 1807.«
    Sie zog einen Stuhl an Andrews Seite, setzte sich, kreuzte die Arme über den Büchern und redete ernst und nachdrücklich mit ihm wie mit einem Kollegen. Byron, sagte sie, habe von einem Leben mit Harness geträumt. Von einem Leben wie in einer heterosexuellen Ehe. Aber er habe sich getäuscht. »Wie sehr, werden wir in Kürze enthüllen«, versprach sie. »Aber zuerst wollen wir die Phantasie, die er um ihr gemeinsames Leben gesponnen hat, untersuchen.« Sie legte Andrew einen anderen Brief an Pigott vor. Harness wechselt im Oktober in ein Handelshaus, und wir werden uns wahrscheinlich nicht sehen, bis meine Unmündigkeit endet …
    »Bis er volljährig wird«, erläuterte Dr. Kahn. »Das heißt, dass es Byron kaum erwarten kann, all das Geld, das er zusammen mit dem Anwesen in Newstead erben sollte, in die Finger zu kriegen. Hast du Newstead Abbey schon gesehen? Sie ist großartig. Groß, grau, mittelalterlich. Überall Pfauen. Schon wenn man in den Park einbiegt, fühlt man sich erhaben.«
    Aber Byron war immer verschwenderisch, gab reichlich Geld für vornehme Kutschen, Spirituosen und Kleider aus. Schließlich war er gezwungen, Newstead Abbey, das seit dem fünfzehnten Jahrhundert im Besitz der Familie war, zu verkaufen. Wie ein Popstar, der schnell pleitegeht, weil er sich luxuriöse Häuser, teure Autos und jede Menge Tand zulegt, erklärte sie.
    Andrew staunte über den unerwarteten Vergleich. »Wie kommen Sie darauf ?«
    »Ich habe Nichten«, entgegnete sie scharf. »Lies.«
    Andrew folgte der Aufforderung.
    Harness wechselt im Oktober in ein Handelshaus, und wir werden uns wahrscheinlich nicht sehen, bis meine Unmündigkeit endet. Ich werde ihm die Entscheidung überlassen, ob er durch meine Beteiligung als Partner in die Firma einsteigen …
    Das bedeutet, führte Dr. Kahn aus, dass Byron beabsichtigte, wie ein Sugardaddy die Karriere seines Freundes zu sponsern. Wie ein Ehemann, der seiner
     Frau eine Lizenz als Immobilienmaklerin verschafft.
    … oder ob er ganz bei mir wohnen will.
    Andernfalls, ergänzte sie, würde Byron Harness zu einer Hausfrau machen.
    Er soll die Wahl haben. Ich liebe ihn mehr als jedes andere menschliche Wesen, und weder Zeit noch Distanz hat die leiseste Auswirkung auf meine (ansonsten wankelmütige) Zuneigung.
    Andrew hielt inne. »Er war seiner Zeit ein wenig voraus, wie ich sehe. Aber  … die Engländer tolerieren Schwule, stimmt’s? Sehen Sie sich Mr. Baldridge an.« Er bezog sich auf den Naturwissenschaftslehrer, der mit seinem Lebensgefährten zusammenwohnte.
    »Eigentlich sollte ich dich nicht drauf hinweisen müssen, dass sich die Zeiten inzwischen geändert haben, Andrew. Damals verstieß Homosexualität gegen das Gesetz. Sie hätten nie ein solches Leben führen können. Niemals. Homosexualität war nicht nur illegal, sondern ein Kapitalverbrechen, das mit sofortigem Tod bestraft wurde.«
    Andrew sah betroffen auf.
    »Das ist eine Enttäuschung, was? Nachdem du diese Gedichte und die Briefe gelesen hast.« Sie strich über das aufgeschlagene Buch. »Zweifellos fühlten Byron und Harness genau so. Trotzdem kann ich Byron diese Illusionen verzeihen«, fuhr sie nachdenklich fort. »Cambridge ist ein magischer Ort, nicht so geschäftig und übersichtlich wie Oxford. Cambridge ist wie gemacht für Geheimnisse. Das wirst du hoffentlich einmal selbst sehen. Mauern trennen die Studenten von der Stadt. Von England. Schließen all das aus und die Studenten und ihre Angelegenheitenein. Es ist ein wunderbarer Ort, sich zu verlieben«, schweifte sie ab. »In den Backs im Juni. Das Laub und die Rasenflächen sind saftig grün und leuchten golden in der Sonne. Und alle trinken. Pimm’s, Wein – jeden Tag Partys. Stelldichein im Schutz der tiefhängenden Äste.

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