Weisses Gold
Konsulatsgebäude, lagen in Schutt und Asche, und ganze Stadtviertel waren verschwunden. »Die Stadt hat unglaublich gelitten. Kaum ein Haus ist unbeschädigt, und viele sind zerstört.« Noch erschreckender war das Bild, das sich im Hafen bot. Pellews Dolmetscher Abraham Salamé schrieb: »Die Bucht war mit Wracks übersät, über denen eine dichte Rauchwolke hing.« Doch besonders schockiert war Salamé vom »furchtbaren Anblick der Leichen, die auf dem Wasser trieben«. Mehr als 2000 Menschen – darunter viele Korsaren – waren tot, und eine noch größere Zahl war tödlich verwundet. Die Briten hingegen hatten insgesamt nur 141 Tote und 74 Verwundete zu beklagen.
Pellew wollte den Beschuss bei Sonnenaufgang sofort wieder aufnehmen, doch wie sich herausstellte, war das nicht mehr nötig. Nach einer kurzen Begutachtung seiner einst glorreichen Hauptstadt wurde dem stolzen Dei klar, dass er den Kampf nicht fortsetzen konnte. Er musste eine demütigende bedingungslose Kapitulation akzeptieren und alle Forderungen des britischen Admirals erfüllen. Unter anderem ließ er alle noch in Algier festgehaltenen Sklaven frei und verpflichtete sich, nie wieder einen Christen zu versklaven.
Die 1642 Sklaven, die noch in Algier lebten, konnten kaum glauben, dass ihr Leiden wirklich ein Ende hatte. Während der Schlacht waren sie in Ketten gelegt und in eine Kaverne im Stadtberg gebracht worden. Als sie von Pellews Sieg erfuhren – und entdeckten, dass ihre Wachen geflohen waren – befreiten sie sich von ihren Fesseln und brachen aus ihrem Gefängnis aus. »Wir stürmten aus der Höhle«, schrieb der französische Sklave Pierre-Joseph Dumont, »und schleiften unsere Ketten durch Brombeersträucher und Gebüsch hinter uns her, ohne zu bemerken, dass wir im Gesicht und am Körper bluteten. Wir fühlten unsere Wunden einfach nicht mehr.«
Abraham Salamé war schockiert vom Zustand der befreiten Sklaven: »Als ich an Land ging, sah ich, in welch schrecklicher Verfassung all diese erbarmungswürdigen Geschöpfe waren.« Doch die Sklaven selbst erlebten einen Augenblick, von dem sie seit vielen Jahren geträumt hatten. Sie jubelten, sangen Freudenlieder und ließen den englischen Admiral begeistert hochleben.
Pellew war sehr stolz auf die Zerstörung Algiers und glücklich, als er die Nachricht erhielt, dass auch Tunis, Tripolis und Marokko die Sklaverei abgeschafft hatten. Es sollte nie wieder Sklavenauktionen geben, und alle verbliebenen Gefangenen wurden unverzüglich freigelassen. Pellew schreibt: »Es wird mir stets eine Quelle der Freude und des Trostes sein, dass ich eines der demütigen Werkzeuge in den Händen der göttlichen Vorsehung sein … und das unerträgliche und scheußliche System der christlichen Sklaverei für immer zerstören durfte.« Der Admiral wurde in ganz Europa gefeiert, und viele Länder, die unter dem Sklavenhandel gelitten hatten, ehrten ihn für seinen Triumph: Er wurde zum Ritter des spanischen Ordens von König Karl III. sowie des Ferdinandsordens des Königreiches beider Sizilien ernannt. Auch die Niederlande und Sardinien erhoben ihn in den Ritterstand. Der Papst war so entzückt über die Nachricht von Pellews Erfolg, dass er ihm eine seltene und besonders wertvolle Kamee schenkte.
Bei der Heimkehr wurde Admiral Pellew in Cornwall ein triumphaler Empfang bereitet. Nach Jahrhunderten konnten die Fischer und Händler endlich wieder zur See fahren, ohne befürchten zu müssen, in die Hände von Menschenräubern zu fallen. Die Londoner Regierung überhäufte den Admiral ebenfalls mit Ehrungen. Er wurde in einen höheren Adelsstand erhoben und durfte ein fabelhaftes neues Zeichen in sein Familienwappen aufnehmen: Von nun an wurde der Wappenschild der Pellews von einem christlichen Sklaven geziert, der mit einem Kruzifix in der Hand seine Fesseln abwirft. Ein durchaus passendes Symbol für eine Familie, die mit den Schrecken der Sklaverei sehr vertraut war.
Salé, im September 2002. Der böige Wind trägt die salzige Gischt vom Atlantik herüber. Am ungeschützten Strand drücken die Böen die Augen zu und betäuben die Ohren. Aber im Schutz einer Kasematte in den Festungsmauern am Strand liegt die Luft wie ein feuchter Schwamm auf der Haut.
Im Mündungsdelta des Regreg rollen die Brecher schäumend über die Sandbarriere hinweg. Zwei Ruderboote kämpfen sich durch die Brandung. Die Strömungen im Estuar sind turbulent und heimtückisch, und so mancher Seemann aus Salé wurde ins Meer
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