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Weisses Gold

Weisses Gold

Titel: Weisses Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Milton
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erhielt der Junge die furchtbare Nachricht, dass Kapitän Pellow gestorben war, »hingerafft von einer schlimmen Grippe«. Er hatte etwa sechs Monate in Gefangenschaft überstanden und vier der sieben Besatzungsmitglieder der
Francis
überlebt. Aber die grausame Behandlung und die Unterernährung hatten seinen bereits angeschlagenen Körper zu sehr geschwächt. Als er obendrein noch an der Ruhr erkrankte, war seine Lebenskraft erschöpft.
    Die Überlebenden hatten entsetzliche Angst, als Nächste an der Reihe zu sein, und schickten verzweifelte Briefe in die Heimat, in denen sie um Hilfe flehten. Aber sie fürchteten, ihre Hilferufe würden auf taube Ohren stoßen. »Ich glaube, alle Christen in England haben uns vergessen«, schrieb John Willdon, »weil sie uns nie irgendeine Linderung geschickt haben, seit wir in der Sklaverei leben.«

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    6
Hüter der Konkubinen
    An einem strahlenden Frühlingsmorgen im Jahr 1717 ging ein blasser Gentleman zielstrebig durch Whitehall. Der Samtrock und die graublonde Perücke verliehen ihm das Aussehen eines Dandys, aber sein Gesichtsausdruck verriet einen beweglichen Geist. Joseph Addison, einer der beiden Minister für äußere Angelegenheiten, war auf dem Weg zu einer Krisensitzung des Kabinetts. Die Regierung war auf der Suche nach einer Lösung für eines der vertracktesten Probleme ihrer Zeit.
    Die Zahl der Schiffe, die den Korsaren von Salé zum Opfer fielen, stieg unaufhörlich, und es wollte einfach nicht gelingen, der Bedrohung Herr zu werden. Die
Constant John
, die
Desire
, die
Henry and Mary
, die
David
, die
Abigail
, die
Catherine
, die
George
, die
Sarah
, die
Endeavour
, die
Porsperous
, die
Union
: all diese Schiffe waren in den letzten Monaten gekapert worden, und ihre Besatzungen hatten die Sklavenhändler in Ketten nach Meknes geschickt. Wie das übrige Europa war Großbritannien der Erpressung durch die Barbareskenstaaten und Marokko ausgeliefert. Es musste etwas geschehen.
    König Georg I., der erst kurz zuvor den Thron bestiegen hatte, zeigte bemerkenswert wenig Interesse am Leid der britischen Sklaven in Meknes. Dem in Deutschland geborenen Monarchen aus dem Haus Hannover war der britische Thron nach dem Tod der kinderlos gebliebenen Königin Anne angeboten worden. Er sprach nur gebrochen Englisch und war nur widerwillig in sein neues Königtreich gekommen. »Unsere Bräuche und Gesetze waren ein Rätsel für ihn«, schrieb Lady Mary Wortley Montagu. »Er versuchte nicht, sie zu verstehen, und wäre auch nicht dazu imstande gewesen.«
    Als er drei Jahre zuvor in Begleitung eines großen Gefolges deutscher Höflinge, darunter sein Premierminister, sein wichtigster Ratgeber und sein gesamter Haushalt, in London eingetroffen war, hatte König Georgfür einiges Aufsehen gesorgt. Doch was das Hauptstadtvolk überhaupt nicht verstehen konnte, war die Tatsache, dass seinem Haushalt auch zwei türkische Berater namens Mechmet und Mustafa angehörten. Auch die britischen Minister Georgs waren schockiert darüber, dass der König zwei »Moslems« vertraute (in Wahrheit waren die beiden zum Christentum übergetreten) und dass einer von ihnen die königliche Privatschatulle verwaltete. Schon wenige Monate, nachdem der König im Whitehall Palace eingezogen war, hatte er sich in den Protagonisten bösartiger Balladen und fremdenfeindlicher Liedchen verwandelt. Man beschuldigte ihn, seine Türken für »abscheuliche Zwecke« mitgebracht zu haben, und seinem deutschen Gefolge wurde vorgeworfen, sich lediglich auf Kosten Britanniens die Taschen füllen zu wollen:
    Hither he brought the dear illustrious house
    That is, himself, his pipe, close stool and louse;
    Two Turks, three whores, and half a dozen nurses
    Five hundred Germans, all with empty purses.

    [Er kam begleitet von seinem glänzenden Haus,
    Also er selbst samt Pfeife, Spitzeln und so mancher Laus,
    Zwei Türken, drei Huren und sechs Gouvernanten,
    Dazu fünfhundert Deutsche mit leeren Börsen.]
    Im Frühjahr 1717 wurde dem König ein verzweifeltes Bittgesuch der Ehefrauen und Witwen der Seeleute von der
Francis
und anderer in die Sklaverei verschleppter Männer vorgelegt. Die Frauen flehten seine Hoheit an, sich um die Freilassung ihrer Männer zu bemühen. Die Wortwahl der Petition war ausgesprochen gefühlsbetont. Der König wurde aufgefordert, die Krise ohne weiteres Zögern in Angriff zu nehmen, und er wurde »demütigst angefleht«, das Schicksal seiner »leidenden Untertanen zu erleichtern«. Und

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