Weisses Gold
war, wandte er sich dem nächsten zu.« Die Mauern des imperialen Meknes begannen das Stadtbild zu prägen, und die Besucher beschrieben die Ausmaße des Projekts voller Ehrfurcht. »Niemals«, schrieb es-Sajjani, »war unter irgendeiner Regierung, sei es einer arabischen oder ausländischen, einer muslimischen oder ungläubigen, ein derartiger Palast errichtet worden.« Allein die Befestigungswälle zogen sich auf einer so langen Strecke durch das Tal, dass 12 000 Soldaten nötig waren, um sie zu bewachen.
Als Kapitän Pellow und seine Männer nach Meknes kamen, wurde in Meknes bereits seit über vier Jahrzehnten gebaut. Dennoch deutete nichts darauf hin, dass in absehbarer Zukunft mit dem Abschluss des Palastprojekts zu rechnen war. Vielmehr wurden die Pläne des Sultans umso phantastischer, je mehr die Anlage wuchs. Thomas Pellow war von der Größe des Palastes verblüfft, als er zum ersten Mal durch das Tor geführt wurde. Und er war nicht weniger schockiert, als er sah, wie seine britischen Kameraden von den schwarzen Sklaventreibern geschlagen und ausgepeitscht wurden. »Bei Tagesanbruch wecken die Wärter der verschiedenen Kerker, in denen die christlichen Sklaven über Nacht eingesperrt sind, ihre Gefangenen mit Flüchen und Schlägen.« Kapitän Pellow und seine Männer wurden unter Bewachung zum letzten unfertigen Abschnitt der Palastmauern geführt, wo sie in den folgenden 15 Stunden unter der sengenden afrikanischen Hitze schufteten. »Einige haben die Aufgabe, große Körbe voller Erde zu tragen«, schreibt Pellow. »Andere lenken Wagen, die von sechs Ochsen und zwei Pferden gezogen werden.« Facharbeiter wurden mit anspruchsvolleren Tätigkeiten betraut: sie mussten »sägen, schneiden, zementieren und Marmorsäulen errichten«. Wer keine besonderen Fähigkeiten besaß, musste »die niedrigsten Arbeiten verrichten, etwa die Pferde versorgen, die Ställe ausmisten, Lasten tragen und mit Handmühlen mahlen«.
Da keiner von ihnen ein Handwerk gelernt hatte, mussten die Besatzungsmitglieder der
Francis
, der
George
und der
Southwark
die besonders zermürbenden Arbeiten verrichten. Zu den schwersten Aufgaben zählte das Mischen des Kalkmörtels, eine Arbeit, von deren Gefahren viele Sklaven zu berichten wussten. Thomas Phelps berichtete, dass zunächst große, an der Oberseite offene Holzbehälter gebaut wurden, die anschließend »mit einer Mischung aus zerkleinerter Erde, Kalk und Kies« gefüllt wurden. Dieser Mischung wurde Wasser zugefügt, und die Masse wurde so lange verrührt, bis sie die Beschaffenheit einer dicken Suppe hatte. Den flüssigen Mörtel ließ man trocknen, wodurch er »eine unglaubliche Härte annimmt und sehr haltbar wird«. Nach der Entfernung der hölzernen Verschalung wurde der Mörtel mit Gips überzogen, oder man befestigte eine polierte Marmorplatte darauf.
Das Mischen des Mörtels war ausgesprochen gefährlich. Der ungelöschte Kalk fügte den Sklaven oft Verbrennungen zu und löste quälende Schmerzen aus, wenn er in offene Wunden und Hautrisse geriet. Pater Busnot war schockiert, weil die Sklaven nicht einmal grundlegende Sicherheitsvorkehrungen treffen durften und »oft bei lebendigem Leib verbrennen, wie es kürzlich sechs Engländern und einem Franzosen widerfahren ist«. Zusätzlich erschwert wurde ihre Aufgabe dadurch, dass sie einen Großteil ihrer Arbeit auf Mauerzinnen verrichten mussten, die bereits eine Höhe von 10 oder 15 Metern erreicht hatten. Germain Mouette beschrieb, dass es weder Gerüste noch Leitern gab und dass der Mörtel über eine Seilrolle hinauf gehievt werden musste, was »die Finger dessen verbrennt und aufschneidet, der am Seil zieht«. Wenn die Sklaven, die oben auf der Mauer »die Erde zwischen den Planken mit schweren Erdschlägern feststampfen, auch nur einen Augenblick innehalten, werfen die aufmerksamen Aufseher mit Steinen nach ihnen, damit sie die unablässige Arbeit wieder aufnehmen«.
Kapitän Pellow und seinen Leuten war klar, dass die Bauarbeiten nicht enden würden, solange Mulai Ismail am Leben war. Der Sultan war nur selten zufrieden mit den fertigen Gebäuden und gab oft den Befehl, ein Bauwerk wieder vollkommen abzureißen. Pater Busnot schrieb: »Die rastlose Gemütsverfassung des Königs von Marokko verwandelt den Palast in ein Theater, dessen Bühnenbild sich in fast jeder Szene ändert.« Die Sklaven, so Busnot, »versicherten mir, dass ein Mann den Palast nachzehnjähriger Abwesenheit nicht wiedererkennen kann, so groß
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