Weißglut
läutete viermal, ehe sich die Mailbox einschaltete. »Komm schon, Sohn, geh ran!«
Seine Finger waren fast taub. Die Muskeln in seiner Brust schienen ihm das Herz zusammenzupressen, das seinerseits höllisch ratterte, als hätte er tatsächlich gerade einen Herzinfarkt überstanden. Er tippte noch einmal Chris’ Nummer ein, aber wieder ohne Ergebnis.
Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, ließ Huff das Telefon fallen und eilte an den Waffenschrank.
Irgendwann während der Nacht hatte sich die uralte Klimaanlage ausgeschaltet und war nicht wieder angesprungen. Chris lag inmitten eines Gewirrs von feuchten, schmuddligen und modrig riechenden Laken auf dem harten, schmalen Bett. Er trug nichts als seine Boxershorts, doch selbst die klebten ihm in der stickigen Hitze am Leib.
An diesem Morgen war es fast so heiß wie an dem Sonntag zwei Wochen zuvor, an dem Danny in ebendiesem Raum erschossen worden war.
Waren seitdem wirklich erst zwei Wochen vergangen? Ihm kamen sie vor wie zehn Jahre.
Der alte Holzboden hatte Dannys Blut aufgesogen wie ein Schwamm. Chris bezweifelte, dass die dunklen Flecken je wieder verschwinden würden, auch wenn der Boden noch so oft geschrubbt würde.
Er war hergekommen, um dem Druck zu entfliehen, der sich seit dem Vortag aufgebaut hatte. Ein Gutes war dabei herausgekommen: Die Sache mit Lila war geklärt. Sobald sie mit Red sprach – was sie unter Garantie täte, um Georges Job zu retten –, stünde er nicht mehr unter Verdacht.
Aber über dem Werk lag Grabesstille. Weshalb Huff umso lauter getobt hatte.
Weil er Huffs Hasstiraden und auch die Reporter, die ihm am Telefon einen Kommentar entlocken wollten, nicht mehr ertrug, hatte er sich in die Angelhütte zurückgezogen, den letzten Ort, an dem ihn jemand suchen würde.
Zwar fand er hier die ersehnte Abgeschiedenheit, doch die Hütte hatte jeden Reiz verloren. Früher hatte er sich hier mit seinen Kumpeln amüsiert, hatte getrunken, geangelt oder ganze Wochenenden hindurch Marathonpokerrunden veranstaltet, und die Jungs hatten sich in der primitiven Atmosphäre wohl gefühlt.
Aber er und auch die Angelhütte waren gealtert. Er war reifer geworden, die Hütte baufällig. Vielleicht war es Zeit, sie zu verkaufen. Wie sollten er oder Huff sich hier je wieder wohl fühlen, wo der Boden mit Blutflecken übersät war?
Sie konnten sich stattdessen ein Boot kaufen. Oder ein Strandhaus, In Biloxi vielleicht. Obwohl Huff den Staat Mississippi aus Gründen hasste, die nur ihm allein bekannt waren. Er …
Chris roch ihn tatsächlich, ehe er die Dielen auf der Veranda unter seinen Schritten quietschen hörte. Sekunden später platzte er durch die Tür.
Chris saß sofort kerzengerade da.
»Keine Bewegung, Hoyle. Ich will dich nur ungern gleich killen. Denn ich hab dir noch was zu sagen, bevor ich dich von der Kehle bis zu den Eiern aufschlitze.«
In einer Hand hielt Slap sein Messer. In der anderen hielt er mehrere Kleidungsstücke, die er Chris hinwarf. Sie landeten in seinem Schoß. Er nahm eines davon hoch, schreckte zurück und wischte sie panisch von seinem Bett weg.
Watkins lachte. »Ganz genau. Das kommt aus dem Kopf von deinem kleinen Bruder. Er ist zerplatzt wie ein Kürbis, der vom Laster gefallen ist.«
Chris kniff zornig die Augen zusammen.
»Was ist denn, Hoyle? Bist du zu zimperlich, um die ekligen Einzelheiten zu hören? Blöd, denn ich werde sie dir trotzdem erzählen.« Er setzte einen Fuß auf das Fußende des Bettes, so als wären sie alte Freunde, die sich auf einen Schwatz getroffen hätten.
»Dannyboy hat mir erzählt, dass er mit dir verabredet war. Er hat mich gewarnt, dass du jeden Moment auftauchen kannst, er hat gesagt, ich soll mir einfach nehmen, was ich will, und abhauen, ehe du mich erwischst und die Bullen rufst. Ist das nicht der Wahnsinn? Er hat gedacht, ich bin hergekommen, um die Hütte auszunehmen.« Er musterte verächtlich seine Umgebung. »Als würde ich hier irgendwas haben wollen. Verglichen mit dem Loch hier war meine Zelle der reinste Palast.«
Chris rutschte näher an die Bettkante.
»Nein, das wirst du nicht«, warnte Slap. »Du wirst sitzen bleiben und zuhören, und wenn du auch nur blinzelst, dann stech ich dir mit der Messerspitze das Auge aus, damit du nie wieder zu blinzeln brauchst, kapiert?«
Er wartete ab, um seiner Drohung Gewicht zu geben und sich davon zu überzeugen, dass Chris seinen Befehl befolgte, ehe er sagte: »Wo war ich? Ach ja. Bruder Danny. Als ich die
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