Weißglut
Decke überzog ein Netz von freiliegenden Lüftungskanälen, elektrischen Leitungen und Wasserrohren.
Fast die Hälfte des Saals war mit Reihen von armeegrünen Spinden vollgestellt. Jeder Angestellte bekam einen Spind mit Schloss zugewiesen, in dem er Schutzhelm, Schutzbrille und Handschuhe, seinen Henkelmann und andere persönliche Dinge verstauen konnte. Große Schilder warnten die Arbeiter, dass Hoyle Enterprises keine Haftung bei Verlust oder Diebstahl übernahm, die relativ häufig vorkamen, weil sich unter den Arbeitern auch Exsträflinge oder Verurteilte auf Bewährung befanden, die jeden Job annahmen, um ihren Bewährungshelfer zufrieden zu stellen.
Hinter den Spinden waren die Toiletten. Die Armaturen waren noch nie ausgetauscht worden, wie ihnen deutlich anzusehen war. In dem noch übrigen Bereich der Halle bildeten wild zusammengewürfelte Tische und Stühle eine Art Speiseraum. An einer Wand reihten sich Verkaufsautomaten und Mikrowellenöfen, in denen die Überreste von Zehntausenden erhitzten Mahlzeiten klebten.
Mit ein paar Stellwänden war eine Erste-Hilfe-Station abgetrennt worden. Sie war nicht mit Personal besetzt, ein Verletzter musste sich selbst mit dem begrenzten Vorrat an Medizin und Verbänden behelfen.
Das Center war der Ort, an dem schwer arbeitende Männer Pause machten, Witze rissen, über Sport und Frauen quatschten. Etwa fünfzig von ihnen saßen gerade bei der Frühstückspause. Nur eine Hand voll unter ihnen war je einer Frau von Sayre Lynchs Klasse nahe gekommen, und alle hätten nicht überraschter sein können, wenn ein Einhorn in ihrem Frühstücksraum erschienen wäre.
Als Beck in den Raum trat, versuchte sie gerade, mit fünf um einen Tisch sitzenden Männern ins Gespräch zu kommen. Wie es schien, hatte sie nur wenig Erfolg. Obwohl sie eine für ihre Verhältnisse schlichte Blue Jeans mit Baumwoll-T-Shirt trug, fügte sie sich nicht gerade in dieses Schwerarbeiterambiente ein.
Die Männer hielten die Köpfe gesenkt, antworteten einsilbig auf ihre Fragen und warfen einander verstohlene Blicke zu. Ganz offensichtlich konnten sie sich nicht vorstellen, was diese Frau hergeführt hatte, und reagierten höchst argwöhnisch auf ihre scheinbar lockere Plauderei.
Während Beck auf den Tisch zuging, zwang er sich ein warmes Lächeln auf und sagte ihrem Publikum zuliebe: »Was für ein unerwartetes Vergnügen.«
Ihr Lächeln war genauso aufgesetzt wie seines. »Ich bin froh, dass Sie gekommen sind, Mr. Merchant. Sie können diesem Gentleman bestimmt erklären, dass ich für meinen Rundgang durch die Gießerei einen Schutzhelm brauche.«
Der betreffende »Gentleman« war einer der Wachmänner, die den Angestellteneingang kontrollierten. Er stand etwas abseits, als hätte er Angst davor, Sayre zu nahe zu kommen. Jetzt kam er herbeigeeilt. Auf seinem Gesicht glänzte nervöser Schweiß. »Mr. Merchant, ich wusste nicht, ob …«
»Danke. Sie haben genau nach Vorschrift gehandelt. Ich werde Ms. Lynch begleiten.« Beck nahm ihren Ellbogen in einen Griff, der keinen Widerstand duldete, und drehte sie herum. »Kommen Sie mit, Ms. Lynch. Die Schutzhelme für unsere Besucher bewahren wir dort drüben auf.«
»Es war nett, mit Ihnen zu plaudern«, verabschiedete sie sich über die Schulter hinweg von den Männern.
Beck steuerte sie durch das Gewirr von Tischen und Stühlen in einen Lagerraum, in dem praktischerweise im Moment niemand war. Sobald er die Tür geschlossen hatte, fuhr sie ihn an: »Die wollten nicht, dass ich mit den Arbeitern rede, oder? Die haben Sie geschickt, damit Sie mich loswerden.«
»Aber ganz und gar nicht«, erwiderte er lässig. »Huff und Chris freuen sich über Ihr Interesse. Aber wenn Sie etwas über unser Werk erfahren wollen, sollten Sie sich an mich wenden und nicht an die Männer da draußen. Selbst in diesem Ausverkaufs-Outfit sind Sie viel zu schick angezogen. Sie schüchtern die Männer nur ein.«
»Sie sind nicht schüchtern, sie fürchten und misstrauen allem, was Hoyle heißt.«
»Warum bringen Sie die Leute dann derart in Verlegenheit?«
Sie ließ sich das durch den Kopf gehen und musste einsehen, dass er Recht hatte. »Vielleicht war das nicht wirklich bedacht. Außerdem werde ich viel mehr herausfinden, wenn ich selbst in die Gießereihalle gehe«, sagte sie. »Wo ist mein Schutzhelm?«
»Am besten können Sie alles aus den Fenstern in unseren Büros sehen.«
»Aus diesen netten, sauberen, sicheren, klimatisierten Büros? Das ist wohl
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