Weißglut
gebeten, in sein Büro zu kommen, weil es einige offene Fragen zu klären gab.« Er sah kurz zu ihr herüber. »Offenbar hat Ihre Bemerkung, dass Danny das Angeln verabscheute, den Deputy angestachelt.«
»Ich dachte, dass das wichtig sein könnte. Danny hasste die Angelhütte. Er fuhr nie dorthin.«
»Jedenfalls war er nie draußen, seit ich hier bin«, gab Beck zu. »Zumindest nicht, soweit ich weiß.«
»Finden Sie es dann nicht merkwürdig, dass er dort starb?«
»Keine Ahnung. Ist es das?«
Inzwischen waren sie am Stadtrand angekommen, wo er an einer Ampel halten musste. Weil sie seine Frage nicht beantwortet hatte, drehte er sich zu ihr um und wiederholte sie. »Ist es merkwürdig, dass er dort draußen starb? Und wieso hasste Danny die Angelhütte so?«
Sie schwieg störrisch.
»Hatte er Angst vor Schlangen? War er allergisch gegen Giftsumach? Warum hasste Danny die Angelhütte?«
»Er hatte schmerzhafte Erinnerungen daran«, fuhr sie ihn an. »Okay?«
Er gab augenblicklich nach. »Okay.« Die Ampel schaltete auf Grün, und er fuhr über die Kreuzung.
Er hörte Sayre seufzen und sah, wie sie den Kopf gegen das Seitenfenster lehnte. »Wollen Sie die ganze Geschichte hören?«
»Nur wenn Sie sie erzählen möchten.«
»Chris würde sie sowieso erzählen. Bei mir ist die Erinnerung wenigstens durch keine rosa Brille gefiltert. Vielleicht werden Sie dann besser verstehen, wie es ist, bei den Hoyles aufzuwachsen, und vielleicht gibt es Ihnen auch einen ungeschminkten Blick auf das Wesen des Mannes, für den Sie arbeiten.
Eines Tages, nicht lang nach dem Tod unserer Mutter, beschloss Huff, dass wir einen Familienausflug machen sollten. Einen Tag lang nur wir vier gemeinsam. Was für ihn ein ziemliches Zugeständnis war. Wie Sie wissen, gibt es kaum einen Tag, an dem er nicht in die Gießerei geht.
Jedenfalls fuhr er mit uns raus zur Angelhütte. Er staffierte jeden von uns mit einer Rute und Ködern aus und zeigte mir und Danny, was wir zu tun hatten. Chris war natürlich schon ein versierter Angler, da Huff seit Jahren mit ihm angeln gegangen war.
Danny begann zu jammern, dass er nicht angeln wolle. Es war ihm zuwider, den Köder an den Haken zu stecken, weil er dem Wurm nicht wehtun wollte. Er sagte, er hoffe, dass er keinen Fisch fangen würde, weil der dann sterben müsse. Wegen Mutter beschäftigte ihn alles, was mit dem Tod zusammenhing. Eine Woche zuvor hatte er stundenlang wegen einer toten Grille geweint, die er auf der Veranda gefunden hatte.
Statt ihn zu trösten, mit ihm zu reden oder die Sache verflucht noch mal auf sich beruhen zu lassen – denn wen interessierte es, ob Danny an diesem Tag einen Fisch fing oder nicht? –, wurde Huff stinksauer und erklärte ihm, dass wir erst heimfahren würden, wenn er etwas gefangen hätte.
Er ließ ihn den ganzen Nachmittag in diesem stinkenden gelben Schlamm sitzen, wo er schutzlos den vernichtenden Blicken seines Vaters und den hämischen Bemerkungen seines Bruders ausgesetzt war. Und Chris durfte, ja, sollte Danny immer weiter erniedrigen.
Als die Sonne schon untergegangen war, biss endlich ein Fisch an. Danny heulte ununterbrochen, während der Fisch den Haken abzuschütteln versuchte. Aber er holte ihn raus«, fuhr sie leise fort. »Er holte ihn raus. Und dann warf Danny in dem einzigen Akt von Gehorsamsverweigerung, den ich je bei ihm erlebt habe, den Fisch in das Bayou zurück und schwor, dass er nie wieder einen fangen würde.«
Beck war inzwischen auf den Parkplatz des Motels eingebogen und hatte vor der Rezeption angehalten. Bis sie die Geschichte zu Ende erzählt hatte, saß er ihr zugewandt und hatte den Arm über die Rückenlehne gelegt, womit seine Finger gefährlich nah an ihrer Schulter waren.
Er konnte ihr genau ansehen, wann ihr bewusst wurde, dass sie sich in ihren Erinnerungen verloren hatte und dass er sich ganz und gar auf sie konzentrierte, denn in diesem Moment setzte sie sich auf und sprach mit klarer Stimme weiter. »Danny hasste diesen Ort. Er war der Schauplatz einer seiner schlimmsten Erinnerungen. Warum also sollte er am vergangenen Sonntagnachmittag ausgerechnet dorthin fahren?«
»Vielleicht aus genau diesem Grund, Sayre. Wenn er verzweifelt genug war, um Suizid zu begehen, könnte er sich in einer masochistischen Anwandlung genau den Fleck ausgesucht haben, an dem sich eine verhasste Erinnerung zugetragen hatte.«
»Falls es ein Suizid war. « Sie stellte sich seinem Blick und fragte: »Wieso ermitteln sie
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