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Weißglut

Weißglut

Titel: Weißglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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Ölfässer, die als Abfalltonnen dienten. Anschließend kehrte er zu ihr zurück, setzte sich auf die Tischplatte und stellte die Füße neben sie auf die Bank. Er nahm einen Schluck Bier und sah auf sie hinab. »Wieso können Sie Doc Caroe nicht ausstehen?«
    Sie stellte bedächtig ihre Bierflasche ab und wischte mit einer Papierserviette das Kondenswasser von ihrer Hand. »War das so offensichtlich?«
    »Und wie. Als sie die Wahl hatten, ihm die Hand zu geben oder gegen mich gedrückt zu werden …« Er verstummte und wartete ab, bis sie zu ihm aufsah, ehe er weitersprach. »Da haben Sie es vorgezogen, Caroe nicht die Hand zu reichen. Da ich Ihre Abneigung gegen mich kenne, würde ich behaupten, dass Sie diesen Mann zutiefst verabscheuen.«
    Sie wandte den Kopf ab und sah zu einer Gruppe hinüber, die an einem der anderen Tische saß. Drüben brandete Gelächter auf, als hätte jemand eben einen guten Witz gerissen. Die dazugehörenden Kindern waren damit beschäftigt, zwischen den Bäumen nach Glühwürmchen zu jagen, und kreischten jedes Mal jubelnd, wenn sie eines gefangen hatten.
    »Die amüsieren sich, wie?«
    »Sieht so aus«, sagte er. Dann stupste er mit der Schuhspitze gegen ihren Schenkel. »Warum können Sie Doc Caroe nicht leiden?«
    Sie schaute wieder zu ihm auf. »Er ist ein eitler Pfau. Diese Frisur ist doch lachhaft. Er hat einen Napoleon-Komplex. Er ist eine Gefahr für jeden, der sich von ihm behandeln lässt, denn er ist inkompetent und entweder zu dumm oder zu eingebildet, um seine Grenzen zu erkennen. Man hätte ihm schon vor Jahren die Approbation entziehen sollen.«
    »Und was haben Sie abgesehen davon gegen ihn?«
    Sie registrierte den ironischen Tonfall, senkte den Kopf und musste leise lachen. »Ich habe mich gehen lassen. Es tut mir leid.«
    »Das braucht es nicht. Ich mag es, wenn Sie sich gehen lassen. Ich glaube, Sie lassen sich längst nicht oft genug gehen.«
    »Es macht Ihnen Spaß, mich zu analysieren, stimmt’s?«
    »Doc Caroe?«
    Ihr Lächeln verblasste wieder. »Er behandelte meine Mutter, als sie Magenkrebs bekam.«
    »Das hat mir Chris schon erzählt. Das war für alle Beteiligten eine schwere Zeit.«
    »Als die Diagnose endlich gestellt war, war der Krebs für eine Therapie wohl schon zu weit fortgeschritten. Aber ich konnte nie glauben, dass Dr. Caroe wirklich alles getan hat, um sie zu retten.«
    »Sie waren ein kleines Mädchen, Sayre. Sie wollten, dass Ihre Mutter schnell wieder gesund wird. Und als sie starb, brauchten Sie jemanden, dem Sie die Schuld an ihrem Tod geben konnten.«
    »Da haben Sie wohl Recht.«
    »Ich habe was Ähnliches durchgemacht, als mein Vater starb.« Sie hob den Kopf und sah zu ihm auf. »Da war ich ungefähr genauso alt wie Sie, als Ihre Mutter starb.«
    »Das muss furchtbar gewesen sein.«
    Einen Augenblick lang hatte sie sich völlig schutzlos gezeigt. Ihre Miene war weich geworden, ihr Blick war offen, und sie klang aufrichtiger als je zuvor.
    »Das ist schon lange her«, sagte er. »Aber ich weiß noch genau, wie wütend ich damals war. Und meine Wut sollte lange nicht nachlassen, was die Situation für meine Mom noch schwieriger machte.«
    Das Kinn auf eine Hand gestützt, fragte sie: »Was haben Sie gemacht, als Sie hörten, dass Ihr Vater gestorben war? Als Erstes.«
    »Ich habe mit meinem Baseballschläger die Garagenwand bearbeitet.« Er brauchte nicht lange zu überlegen. Die Erinnerung war noch frisch. »Ich schlug immer und immer wieder darauf ein, bis das Holz splitterte. Fragen Sie mich nicht, warum. Ich schätze, ich wollte, dass irgendwas genauso leiden musste wie ich.«
    Er ließ sich neben ihr auf die Bank nieder, mit dem Rücken zum Tisch, sodass er genauso umgekehrt neben ihr saß wie auf der Klavierbank. Die Bank vor dem Picknicktisch war viel länger, aber er blieb genauso dicht neben ihr wie damals.
    »Was haben Sie gemacht, als Sie erfuhren, dass Ihre Mutter gestorben war?«
    »Ich bin in ihr Schlafzimmer gegangen«, antwortete sie. »Dort roch es immer so gut nach dem Talkumpuder, den sie jeden Abend nach dem Baden auflegte. Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich nicht vergessen, wie sie roch, wenn sie zu mir ins Zimmer kam, um mich zuzudecken und mir einen Gutenachtkuss zu geben. Ihre Hände fühlten sich immer so angenehm kühl an, wenn sie mein Gesicht hielten.«
    Wie um ihre Worte zu unterstreichen, legte sie die Hände auf ihre Wangen. In der Erinnerung verloren, verharrte sie so ein paar Atemzüge lang, ehe sie

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