Weit Gegangen: Roman (German Edition)
ist es dann woanders?, fragte Deng.
Dut war ein geduldiger Mensch.
– In Äthiopien, fuhr er fort, – tat sich ein Mann namens Garang, ein Oberst der sudanesischen Armee, mit Kerubino zusammen. Auch er war geflohen. Und dann floh auch noch das 104. Bataillon, das in Ayod stationiert war, nach Äthiopien. Jetzt konnte man schon von einer Bewegung sprechen. Diese neue Rebellenarmee bestand aus Hunderten gut ausgebildeter Soldaten, größtenteils Dinka. Das war die SPLA. Und damit begann eine neue Phase des Bürgerkriegs. Habt hier bis hierher alles verstanden?
Wir nickten.
– Als John Garang diese aufständische Bewegung in Gang setzte, war General Dahab sehr böse, ebenso wie die gesamte Regierung in Khartoum. Sie wollten die Rebellen vernichten. Aber die Rebellen waren zahlreich. Sie waren gut bewaffnet, und sie hatten etwas, wofür sie kämpften. Deshalb waren sie sehr gefährlich. Und Äthiopien unterstützte sie, was sie zu einer noch größeren Bedrohung machte.
– Dann haben die Rebellen also Gewehre?, fragte ich.
– Gewehre! Natürlich. Wir haben Gewehre und Artillerie und Raketenwerfer, Achak.
Deng kicherte albern, und ich lächelte und fühlte mich stolz. Ich redete mir ein, dass die Männer, die meinen Vater geschlagen hatten, anders waren als diese Rebellen. Oder dass die Rebellen vielleicht bessere Manieren gelernt hatten.
– Die Regierung war sehr verärgert über dieses neue Rebellenproblem, sprach Dut weiter, – und deshalb wurden die Hubschrauber geschickt. Die Regierung brannte die Dörfer nieder als Strafe dafür, dass sie die Rebellen unterstützt hatten. Es ist ganz leicht, einen Ort zu vernichten, nicht wahr? Leichter, als eine Armee zu vernichten. Und da immer mehr Männer zur Ausbildung nach Äthiopien gingen, wurde die SPLA immer größer und gewann sogar manche Schlacht. Sie besetzte Land. Die Dinge standen schlecht für die Regierung. Sie hatte ein Problem. Also brauchte sie noch mehr Soldaten, noch mehr Gewehre. Aber eine Armee aufzustellen ist teuer. Eine Armee muss bezahlt werden, sie muss mit Essen und Waffen versorgt werden. Also griff General Dahab auf eine Strategie zurück, die schon viele Regierungen vor ihm genutzt hatten: Er bewaffnete andere, damit sie die Arbeit der Armee übernahmen. In diesem Fall versorgte er Zigtausende Araber, unter anderem auch die Baggara, mit Automatikwaffen. Viele kamen aus dem Bahr al-Ghazal. Viele Tausende aus Darfur. Ihr habt diese Männer mit ihren Gewehren gesehen. Die geben hundert Schuss in derselben Zeit ab, in der man mit einem normalen Gewehr zweimal schießen kann. Gegen diese Waffen können wir uns nicht verteidigen.
– Wieso musste die Regierung denn diese Männer nicht bezahlen?, fragte ich.
– Oh, das ist eine gute Frage. Die Baggara hatten sich schon lange mit den Dinka über Weidegründe und andere Dinge gestritten. Das wisst ihr wahrscheinlich. Viele Jahre lang war es zwischen den südlichen Stämmen und den Arabern relativ friedlich zugegangen, aber dann hatte General Dahab die Idee, den Frieden zu brechen und den Hass der Baggara zu schüren. Als er ihnen diese Waffen gab, wussten die Baggara, dass sie den Dinka damit weit überlegen waren. Sie hatten AK-47, und wir hatten Speere, Keulen, Lederschilde. Das zerstörte das Gleichgewicht, in dem wir viele Jahre gelebt hatten. Aber wie wollte die Regierung all diese Männer bezahlen? Ganz einfach. Die Reiter erhielten als Gegenleistung für ihre Dienste die Befugnis, alles zu plündern, was ihnen in die Hände fiel. General Dahab sagte ihnen, sie sollten die Dinka-Dörfer entlang den Eisenbahnlinien überfallen und sich nehmen, was sie wollten – Vieh, Nahrungsmittel, die Güter auf den Märkten, sogar Menschen. So lebte die Sklaverei wieder auf. Das war 1983.
Wir hatten keine Vorstellung von Jahren.
– Vor wenigen Jahreszeiten, erklärte Dut. – Wisst ihr noch, wann das anfing?
Wir nickten.
– Sie suchten sich irgendein Dorf aus und umzingelten es bei Nacht. Wenn das Dorf dann erwachte, kamen sie von allen Seiten angeritten, töteten und plünderten nach Lust und Laune. Sie nahmen alles Vieh mit, und was sie nicht stahlen, erschossen sie. Jeder Widerstand führte zu Vergeltungsaktionen. Männer wurden auf der Stelle getötet. Frauen wurden vergewaltigt, die Hütten niedergebrannt, die Brunnen vergiftet und die Kinder verschleppt. Das alles habt ihr gesehen, glaube ich.
Das hatten wir.
– Für die Baggara war das ein Segen, denn ihre eigenen Farmen litten
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