Weit Gegangen: Roman (German Edition)
unter der Dürre. Sie hatten Vieh verloren, und ihre Ernten waren schlecht. Also stehlen sie unsere Tiere und verkaufen sie in Darfur, und dann werden sie in Khartoum weiterverkauft. Die Gewinne sind gewaltig. Der Norden hat jetzt einen Überschuss an Vieh, wodurch der Preis für Rindfleisch gesunken ist. Das war einmal das Vieh der Dinka, unsere Mitgift, unser Vermögen, der Wohlstand unserer Männer. Durch den Diebstahl unserer Tiere und Nahrungsmittel lösten die Baggara sehr viele ihrer eigenen Probleme, auch durch die Versklavung unseres Volkes. Wisst ihr, warum?
Wir wussten es nicht.
– Nun, wenn sie unterwegs sind, um unsere Tiere zu stehlen, wer kümmert sich in der Zeit um ihr Vieh? Ha. Das ist ein Grund, warum sie unsere Frauen und Jungen stehlen. Wir hüten ihre Herden, damit sie weiter unsere Dörfer überfallen können. Könnt ich euch das vorstellen? Das ist schauerlich. Aber die Baggara sind nicht von Natur aus böse. Die meisten von ihnen sind wie wir, Viehzüchter. Baggara ist einfach nur das arabische Wort für Kuhhirte, und wir benutzen es, wenn wir andere Hirtenvölker meinen – die Rezeigat in Darfur, die Messeriya in Kordofan. Sie alle sind Muslime, Sunniten. Ihr kennt doch Muslime, oder?
Ich dachte an Sadiq Aziz. Ich hatte nicht mehr an Sadiq gedacht, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte.
– Die Moschee in unserem Dorf wurde niedergebrannt, sagte ich.
– Die Milizen bestehen überwiegend aus jungen Männern, die es gewohnt sind, das Vieh zu begleiten, wenn es herumzieht und weidet. Murahilin bedeutet in ihrer Sprache Reisende – und genau das waren sie, berittene Männer, die das Land kannten und es gewohnt waren, Gewehre zu tragen, um sich und ihr Vieh gegen Raubtiere zu schützen. Erst durch den Krieg wurden diese Murahilin zu Milizionären, die schwerer bewaffnet sind und kein Vieh mehr hüten, sondern plündern.
– Aber warum können wir denn nicht auch Gewehre bekommen?, fragte Deng.
– Von wem? Den Arabern? Von Khartoum?
Deng neigte den Kopf.
– Wir haben jetzt einige Gewehre, Deng, ja. Aber es war nicht leicht. Und es hat lange gedauert. Wir haben die Gewehre, mit denen das 104. und 105. Bataillon den Sudan verließ, und wir haben die Waffen, die die Äthiopier uns gegeben haben.
Dut stocherte im Feuer und schob sich ein paar Nüsse in den Mund.
– Aber die Männer in Marial Bai trugen auch Uniform, sagte ich. – Wer waren die?
– Regierungsarmee. Khartoum wird allmählich faul. Jetzt schicken sie die Armee zusammen mit den Murahilin. Es ist ihnen egal. Inzwischen geht jeder. Jeder. Ihre Strategie ist es, alles aufzubieten, was sie haben, um die Dinka zu vernichten. Habt ihr schon mal den Ausdruck gehört, einen Teich leeren, um einen Fisch zu fangen? Sie leeren den Teich, in dem die Rebellen geboren oder unterstützt werden könnten. Sie zerstören das Land der Dinka, damit sich in dieser Region nie wieder Rebellen erheben können. Und wenn die Murahilin die Dörfer überfallen, vertreiben sie die Bevölkerung, und wenn die Bevölkerung fort ist, wenn Dinka wie wir fort sind, dann eignen sie sich das Land an, das wir verlassen haben. Sie gewinnen auf vielerlei Weise. Sie haben unser Vieh. Sie haben unser Land. Sie haben unsere Leute, die das Vieh hüten, das sie uns gestohlen haben. Und unsere Welt ist am Ende. Wir ziehen durchs Land, haben kein Auskommen mehr, keine Farmen, kein Zuhause, keine Krankenhäuser. Khartoum will das Dinkaland zerstören, es unbewohnbar machen. Und dann werden wir die Regierung brauchen, um die Ordnung wiederherzustellen, wir werden sie für alles brauchen.
– Also das ist das Was, sagte ich.
Dut sah mich lange an und schürte dann wieder das Feuer.
– Vielleicht, Achak. Vielleicht hast du recht. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was das Was ist.
Wir nickten allmählich ein, an der Stelle, wo wir saßen.
– Wie ich sehe, habe ich euch eingeschläfert, sagte Dut. – Als Lehrer bin ich das gewohnt.
Als wir erwachten, war unsere Gruppe größer geworden. Am Vorabend waren wir etwas mehr als dreißig Jungen gewesen, und jetzt waren wir vierundvierzig. Nachdem wir den ganzen Tag gegangen waren und uns am Abend für die Nacht niederließen, waren wir einundsechzig. Die Woche darauf brachte noch mehr Jungen, bis die Gruppe fast zweihundert umfasste. Jungen kamen aus den Dörfern, durch die wir zogen, und sie kamen nachts aus dem Unterholz, ganz atemlos vom Laufen. Sie kamen in Grüppchen, die sich unserer großen Gruppe anschlossen,
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