Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Maniok zu kochen.
Und wirklich, kurz darauf brach in den Hütten in der Nähe ein geschäftiges Treiben aus. Frauen und Mädchen begannen emsig zu kochen, und als sie fertig waren, bekamen wir Essen, das uns portionsweise in die Hände geklatscht wurde, weil es nicht genug Teller für so viele Jungen gab und Dut beteuert hatte, dass es auch ohne gehe. Nachdem wir gegessen hatten und der Häuptling Dut zwei Säcke Nüsse und zwei Kanister Wasser gegeben hatte, zogen wir weiter, weil uns nicht erlaubt wurde zu bleiben.
Ich hatte mich tagsüber schwach und schwerfällig gefühlt, doch jetzt war ich gestärkt und guten Mutes. Ich war gespannt, was noch auf mich zukommen sollte. Zwar machte ich mir Sorgen um meine Familie, aber ich redete mir ein, dass sie sicher war, wenn ich sicher war, und dass ich bis zu unserem Wiedersehen eine Art Abenteuer erleben würde. Es gab Dinge, die ich gern sehen wollte. Ich hatte von Flüssen gehört, die so breit waren, dass kein Vogel sie überfliegen konnte; die Vögel stürzten auf halbem Weg ab und wurde von dem grenzenlosen Wasser verschluckt. Ich hatte von Land gehört, das in die Höhe wuchs, als würde die Erde umkippen, von Land, das aussah wie die Umrisse eines schlafenden Menschen. Ich wollte diese Dinge sehen und dann zu meinen Eltern zurückkehren, um ihnen von meiner Reise zu erzählen. Während ich mir das vorstellte, spürte ich, wie sich die Schnüre in mir wieder spannten, und ich musste tief durchatmen, um sie zu lockern.
Wir gingen durch die Dämmerung und begegneten Männern und Frauen entlang des Weges, doch als die Nacht kam, waren wir allein und der Weg verschwunden.
– Geht geradeaus, sagte Dut. – Dieser Weg ist ganz neu.
Ich war schon oft in der Dunkelheit unterwegs gewesen. Ich konnte bei Mondlicht und auch in tiefster Nacht gehen. Aber so weit weg von daheim und ohne einen Pfad war die Anspannung extrem. Ich musste meine Augen auf den Rücken des Jungen vor mir heften und mit ihm Schritt halten. Wäre ich nur kurz langsamer geworden, hätte ich die Gruppe verloren. Das passierte mehrmals im Laufe der Nacht: Ein Junge kam nicht mehr mit oder verließ die Reihe, um zu urinieren, und konnte die Gruppe dann nur wiederfinden, wenn er laut rief. Wer so etwas tat, wurde beschimpft und manchmal geschlagen oder getreten. Laute Geräusche verrieten die Gruppe, und das war nicht wünschenswert, wenn die wilden Tiere die Nacht übernommen hatten.
Deng, der hinter mir ging, bestand darauf, sich an meinem Hemd festzuhalten. Das war eine Methode, die die kleineren Jungen in dieser und den folgenden Nächten anwandten – sie hielten sich am Hemd des Vordermanns fest. Deng und ich zählten zweifellos zu den kleinsten in der Gruppe. Besonders hilfsbereite Jungen zogen einen Arm aus dem Hemdsärmel und erlaubten denjenigen, die hinter ihnen gingen, sich an dem Ärmel festzuhalten, wie an einer Leine. Viele Jungen machten das mit ihren kleineren Brüdern. Es gab viele Brüderpaare in der Gruppe, und wenn ich beim morgendlichen Appell hörte, wie ihre Namen aufgerufen wurden, empfand ich großen Neid. Ich wusste nichts über meine Brüder: ob sie am Leben waren oder tot oder tief unten in einem Brunnen lagen.
In jener Nacht hielten wir auf einer Lichtung, und einige Jungen wurden in den Wald geschickt, um Holz zu sammeln. Aber die Jungen, die Dut ausgesucht hatte, wollten nicht gehen. Der Wald war voller Geräusche und Schatten, die durchs Gras huschten.
– Ich gehe nicht, sagte ein kräftig aussehender Junge.
– Was?, blaffte Dut.
Es war klar, dass er selbst auch müde und hungrig war und am Ende seiner Geduld.
– Du willst kein Feuer haben?, fragte Dut.
– Nein, sagte der Junge.
– Nein?
– Nein. Das Feuer ist mir scheißegal.
Zum ersten Mal schlug Dut einen Jungen. Er schlug ihn mit dem Faustrücken ins Gesicht, und der Junge fiel wimmernd zu Boden.
– Du, du, du!, stammelte Dut. Er schien ebenso entsetzt darüber zu sein wie der Junge, dass er ihn niedergeschlagen hatte.
– Jetzt geh. Geh!
Dut suchte rasch noch drei weitere Jungen aus, das Feuer wurde entfacht, und als es richtig brannte, setzten wir uns drum herum. Die meisten von uns schliefen rasch ein, aber Deng und ich blieben wach und starrten in die Flammen.
– Ich wollte den Jungen nicht schlagen, sagte Dut.
Deng und ich begriffen, dass er mit uns sprach. Wir waren die einzigen Jungen, die noch wach waren. Wir sagten nichts, weil mir auf so eine Feststellung nichts Passendes einfiel.
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