Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
angenehmer, wenn auch gelegentlich sehr abrupt, aber sicher hochintelligent. Sein Team war ein Durchlauferhitzer – kaum jemand hielt es länger als ein paar Monate mit einem Mann aus, der pro Nacht nicht viel mehr als vier Stunden schläft und von seinen Mitarbeitern dasselbe verlangt.
Als Präsident des Verbandes der Auslandskorrespondenten war ich an diesem Tag in seinem Büro, um mich zu beschweren. Trotz monatelangem Bitten und Betteln, trotz unzähliger Briefe und E-Mails hatte Rudd noch immer nicht vor den 150 Mitgliedern der Organisation gesprochen. Immerhin berichten die Auslandskorrespondenten für Hunderte von Millionen Leserinnen und Zuhörerinnen und Zuschauern in Dutzenden von Ländern. Sie prägen das Bild, das die Welt von Australien hat, maßgeblich mit.
»Klar, das machen wir«, sagte Rudd.
Doch ein paar Wochen später verlor er sein Amt, geputscht von seiner eigenen Stellvertreterin, Julia Gillard.
Mit der politischen Hinrichtung von Kevin Rudd Mitte 2010 kumulierte – vorerst zumindest – eine der spektakulärsten Episoden in der australischen Politik. Der bebrillte ehemalige Diplomat und Sozialdemokrat war 2007 nach elf Jahren unter dem Konservativen John Howard auf einer Welle der Begeisterung gewählt worden. Rudd sieht nicht nur aus wie ein Streber, er war einer. Aus bescheidenen Anfängen hatte er sich hochgearbeitet. Er war der einzige westliche Regierungschef, der fließend Chinesisch spricht. Rudd schien zu haben, was einige australische Journalisten »moral fibre« nannten – Charakterstärke. Er bezeichnete den Kampf gegen Klimawandel als die »größte moralische Herausforderung unserer Generation«. Auch sonst schien Rudd viel von Moral zu halten, ohne Zweifel ein seltenes Attribut unter Politikern der jüngeren australischen Geschichte.
Im Februar 2008 entschuldigte er sich im Namen der Nation bei den Mitgliedern der »Gestohlenen Generationen« für die Politik der gewaltsamen Entfernung von Aboriginal-Mischlingskindern von ihren Eltern. Ich stand auf dem Platz vor dem Parlamentsgebäude, mit Tausenden anderen Australiern – viele selbst Betroffene –, und schaute dem Premierminister auf einem Großbildschirm zu.
Für Menschen wie Mary Hooker war Kevin Rudds historisches »Sorry« an diesem Tag ein sehr persönliches Ereignis. Kaum ein Interview ist mir so sehr an die Nieren gegangen wie das mit der 50-jährigen Frau. Hooker ist eines der vielen Opfer einer Politik, die von 1900 bis etwa 1973 zur Zersplitterung unzähliger Familien geführt hatte und unter der noch heute Zehntausende von indigenen Australiern leiden – als direkt Betroffene, aber auch als Nachkommen. Depressionen, Identitätsprobleme, soziale Verwahrlosung und Selbstmorde sind endemisch – Folgen einer systematischen Entwurzelung durch den Staat. Für die Frau war die Entschuldigung weit mehr als »nur ein Symbol«, wie John Howard damals kritisierte.
»Zum ersten Mal in meinem Leben wird meine Geschichte offiziell bestätigt«, gab sie mir zu Protokoll. »Meine Wunden werde ich zwar behalten. Aber das ›Sorry‹ wird mir dabei helfen, sie zu heilen.«
Doch diese humanitäre Geste sollte nicht genügen, um den Premierminister an der Macht zu halten. Im Hintergrund arbeiteten Kräfte an seinem Niedergang, die einflussreicher zu sein scheinen als die Regierung: die Rohstoffindustrie und die Medien des Murdoch-Konzerns.
Mitten im größten Rohstoffboom der Geschichte hatte Kevin Rudd beschlossen, die massiven Gewinne der Industrie höher zu besteuern. Gleichzeitig wollte er eine Klimasteuer einführen – Firmen, die am meisten Schadstoffemissionen in die Atmosphäre pumpten, wurden künftig zur Kasse gebeten.
Damit hatte Rudd sein politisches Todesurteil unterzeichnet. In hysterisch formulierten Anzeigen warf ihm die Rohstoffindustrie vor, er gefährde Tausende von Arbeitsplätzen. Kompletter Unsinn. Solange die Mineralien in australischem Boden liegen, wird es auch Unternehmen geben, die sie rausholen wollen. Dann schaltete sich Rupert Murdoch ein. Seine Zeitungen begannen einen flächendeckenden Propagandakrieg gegen Rudd, gegen die Steuerpläne, gegen die Labor-Partei. Mit Erfolg: Rudds Beliebtheitsgrad fiel auf ein historisches Tief. Die Labor-Partei setzte seine Stellvertreterin Julia Gillard als Parteichefin ein. Die erste Frau in diesem Amt einigte sich mit den Unternehmen sofort auf eine deutlich abgespeckte Version der Rohstoffgewinnsteuer.
Kevin Rudd war der erste
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