Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Insekten, kleine Reptilien. »Der Grabstock ist eines von nur einer Handvoll einfacher, aber extrem effizienter Werkzeuge, mit denen die Bewohner des australischen Inlands Zehntausende von Jahren überlebt haben«, erklärt uns Karina. Der Speer, ebenfalls aus Hartholz, wird zum Jagen von Kängurus und Emus benutzt. Um die Wurfkraft zu verstärken, nutzen viele Männer noch einen sogenannten Woomera, eine Art längliches Brett mit einem Haken aus Knochen am Ende. Auf diesen setzen sie das untere Ende des Speeres. Durch Hebelwirkung können sie den Speer nicht nur wesentlich weiter werfen, der Schuss wird auch deutlich präziser. Der Bumerang ist das wohl bekannteste Werkzeug. Große Exemplare werden benutzt, um rennenden Tieren wie Kängurus die Beine zu brechen. Einmal verletzt, kann die Beute leichter gefangen und dann mit dem Grabstock erschlagen werden. Kleinere Bumerangs werden in der Regel benutzt, um fliegende Vögel in der Luft zu treffen. Es sind diese leichten, schmalen Exemplare, die gelegentlich so konstruiert sind, dass sie im Fall eines Fehlschusses wieder zum Werfer zurückfliegen. Wenn er Glück hat. Wenn nicht, kann er Ewigkeiten damit verbringen, die Waffe im langen, stacheligen Spinifexgras zu suchen.
Vor einem hohen Busch bleiben Jill und Alice stehen und knien nieder. Mit ihren Stöcken brechen sie den harten, roten Sand auf. Nach fünf Minuten des Grabens stoßen sie auf die Wurzeln des Akazienbaumes. Jill reißt eine Wurzel heraus und bricht sie auf. In ihr liegt eine Witchetty-Made. Weiß, etwa sechs Zentimeter lang, mit braunem Kopf. Das Tier ist die Larve eines Holzbohrers. »Wer hat Hunger?«, fragt Alice. Weder Pierre, Maria noch ich reißen sich drum. »Kommt, versucht mal, ist gar nicht schlecht«, sagt Katrina. Pierre greift als Erster zu. Einer, der Schnecken isst, dem schmecken auch Raupen. Es sei wichtig, dass man dem Tier erst den Kopf abbeiße, erklärt Jill, während sie gräbt und eine Raupe nach der andern findet, »sonst beißen sie dir in die Speiseröhre«. Wir überwinden uns. Der Geschmack erinnert an Nuss, mit einem Hauch Kokosnuss und Erde. Für die Aborigines war die Witchetty-Made traditionell eine der wichtigsten Eiweißquellen. Man kann sie roh essen oder über dem Feuer geröstet. Wenn Jill und Alice heute Lust auf Proteine haben, gehen sie lieber in den Schnellimbissladen und kaufen sich ein Brathähnchen. »Ist einfacher«, sagt Jill.
Kentucky Fried Chicken und Big Mac statt Känguru und Witchetty-Made. Für die Ureinwohner ein Wechsel mit katastrophalen Folgen. Es waren nicht nur Krankheiten, Alkohol, Rassismus und Gewalt, die mit den Europäern auf den isolierten Kontinent kamen. Die neuen, ungewohnten Essgewohnheiten gehörten zu den führenden Ursachen, weshalb sich die Situation der Aborigines nach der weißen Invasion so dramatisch verschlechterte. Eine Entwicklung, die bis heute anhält.
Traditionell ernährten sich Ureinwohner sehr gesund – von Gemüse, Wurzeln und Kräutern. Das zeigte sich auch in ihrem Körperbau. Frühe Berichte von Weißen lassen darauf schließen, dass Fettleibigkeit unter Ureinwohnern beim ersten Kontakt mit Europäern praktisch unbekannt war, und auch Karies gab es kaum. Fleisch, allem voran das an Cholesterin arme Kängurufleisch, gab es nur dann, wenn die Männer auf der Jagd Erfolg hatten. Fisch und andere gesunde Meeresfrüchte waren für die Ureinwohner an den Küsten enorm wichtig. Mit der Ankunft der ersten Siedler änderte sich die Ernährung aber schlagartig. Rationen von Mehl, Tee und Zucker dienten den ersten Kolonialisten als Bezahlung für Aborigines, die für sie arbeiteten. Sie waren auch das Tauschmittel der Wahl für die Neuankömmlinge, wenn sie mit den Aborigines handelten. Die Siedler und Soldaten erhielten im Gegenzug Werkzeuge wie Bumerangs, vielleicht mal ein erlegtes Känguru – und immer mal wieder eine Frau. Die neuen und unbekannten Esswaren hatten verheerende Konsequenzen für die Ureinwohner. Keine andere ethnische Gruppe Australiens leidet derart stark unter nahrungsmittelbedingten Krankheiten wie die Aborigines. Fettleibigkeit und Diabetes sind bis heute endemisch. Mit Übergewicht und Zuckerkrankheit kommen auch alle Folgekrankheiten. Erblindungen, Gefäßkrankheiten, Gangräne, Herzprobleme, Nierenversagen – ein früher Tod. Zwar gibt es auch heute noch viele Stämme, die gelegentlich auf traditionelle Art und Weise die jahrtausendealte Kultur der Vorväter pflegen. Doch in Tausenden von
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