Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Körperwärme funktioniert.
Die anderen merken von alldem überhaupt nichts. Pierre schon gar nicht. Er hat vorgesorgt. Sein Flachmann mit Cognac hat ihn rasch einschlafen lassen. Nur die auf natürliche Weise temperaturgeschützte Katrina wacht am Morgen erfrischt und zufrieden auf. Der Aufstieg aus der Schlucht und der Weg zurück nach Newman finden fast wortlos statt. Im Dorf angekommen, rennen wir zum Coffee-Shop. Ein Cappuccino kostet vier Euro. Totaler Abriss. Aber eine der besten Investitionen meines Lebens.
KAPITEL 7
»Pressen, pressen, pressen Sie endlich – mehr!«
Eine Geburt ist von Natur aus eine eher stressreiche Angelegenheit. Wenn der Arzt dann noch hetzt, weil er auf den Golfplatz will, wird sie zur Tortur. Nicht nur für die werdende Mutter. Christine hat wenigstens Lachgas. Die Geburt dauert länger, als Doktor Harding in seinen Terminkalender eingetragen hatte. Vor sechs Stunden begannen die Wehen. Christine war zu Hause und machte die Buchhaltung, als ihr Wasser brach. Ab ins Auto, mit Vollgas zum Krankenhaus. Alles läuft wie am Schnürchen. Die Schwestern, die Hebammen, sie sind routiniert. Im öffentlichen Krankenhaus von Campbelltown werden Kinder in einer Kadenz zur Welt gebracht, wie im benachbarten McDonald’s »Big Macs« über den Schalter fliegen. Die westlichen Suburbs von Sydney gehören zu den fruchtbarsten im Land. Acht Kinder kommen hier im Durchschnitt pro Tag zur Welt, oft sind es deutlich mehr. »Der Tagesrekord dieses Jahr war 14«, sagt unsere Hebamme Hanna, eine behäbige Mittfünfzigerin. Ihr schottischer Akzent und die tiefe Stimme erinnern mich an »James Bond« Sean Connery. Neun Monate vorher habe ein Blitzschlag am Abend fünf Stunden lang den Strom in der ganzen Region lahmgelegt. »Plötzlich konnten die Leute nicht mehr fernsehen und suchten sich eine andere Beschäftigung«, lacht sie.
Ein Massenbetrieb ist das hier. Trotzdem sind wir froh, dass wir uns nicht für ein kleines Privatkrankenhaus entschieden haben. Wenn etwas schiefgeht, sind wir in Sekunden in den Händen von Spezialisten. Die Ärzte in Campbelltown sind schwierige Geburten gewohnt. Problemkinder. Und das hat einen tragischen Grund. Rauchen während der Schwangerschaft ist hier der Hauptgrund für Komplikationen. Obwohl die Gefahren ja bekannt sein sollten. Ein niedriges Geburtsgewicht, Infektionen, Atemprobleme, sogar eine erhöhte Gefahr von Leukämie für das Kind. Trotzdem raucht im Bezirk Campbelltown, dem zweitärmsten im Bundesstaat New South Wales, heute ein Viertel der Frauen während ihrer Schwangerschaft. Im Landesdurchschnitt sind es 13,5 Prozent. Im reichsten Verwaltungskreis, der Millionärsenklave Mosman in Sydney, ist es weniger als ein Prozent. »Sie glauben gar nicht, was wir hier so sehen«, erklärt mir Hanna. Seit 30 Jahren hilft sie Kindern auf die Welt. »Frauen, die zwischen den Wehen rausgehen und sich eine Fluppe anzünden.« Übel, doch es war schon schlimmer. Im Zweiten Weltkrieg brachten amerikanische Soldaten nicht nur Syphilis nach Downunder, sondern auch Lucky Strikes und Marlboro. Eine richtige Rauch-Epidemie begann. 1945 saugten fast drei Viertel aller australischen Männer täglich an Zigaretten – Jungen ab 14 Jahren sind in dieser Statistik eingeschlossen. Auch 26 Prozent der Frauen rauchten. Seither hat sich die Situation deutlich verbessert. Heute rauchen noch 13,8 Prozent der australischen Männer jeden Tag und 9,8 Prozent der Frauen. Tabakkonsum kostet pro Jahr etwa 15 000 Australierinnen und Australiern das Leben.
Ich gehe kurz raus, um frische Luft zu schnappen. Oder zumindest hatte ich das vor. Stattdessen sehe ich vor der Eingangstür des Krankenhauses, wie demographisch ungleich die Schäden verteilt sind, die Tabak in Australien anrichtet: junge Frauen, meist mit einem oder gleich mehreren Kindern im Anhang. 5-Dollar-Trainingshosen, »Jack Daniels«-T-Shirt, Dunlop-Turnschuhe, Nasenring und den Namen des Geliebten auf den Hals tätowiert – in Schnörkelschrift. Alle rauchen, Fluppe in der einen, eine Dose »Red Bull« in der anderen Hand. In den letzten Jahren hat sich Rauchen in Australien zu einer Sucht von Menschen entwickelt, die niedrigen Einkommensklassen angehören, oder von Arbeitslosen.
Im Jahr 2012 zog die australische Regierung die Schraube an. Australien erließ die härtesten Antitabakgesetze der Welt. Gegen den erbitterten Widerstand der Tabakindustrie natürlich. Doch Konzerne wie Philip Morris und British American
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