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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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Gemeinden hat Bequemlichkeit und Apathie das traditionelle Jagen und Sammeln ersetzt. Selbst in den isoliertesten Orten gibt es Läden und Schnellimbissstätten. Selten sind Frischwaren im Angebot. Und wenn mal ein Salat vorhanden ist oder eine Gurke im Angebot, kosten sie das Mehrfache eines in Fett gebratenen Hühnerschenkels. Die Transportkosten für alle Waren, vor allem aber Frischprodukte, sind derart hoch, dass sie jenseits der Reichweite vieler Menschen auf dem Land liegen. Dass ein Kopfsalat dort acht Euro kostet, ist nicht die Ausnahme, es ist die Regel.
    Trotz Kaugummi geht mir der Geschmack der Witchetty-Made nicht mehr aus dem Mund. Zwei Keilschwanzadler kreisen über uns. Wie Geier, die nur darauf warten, dass wir umfallen. Außer uns ist keine Menschenseele in diesem abgelegenen Gebiet. Vorsichtig beginnen wir den steilen Weg hinunter in die Schlucht. Die Hitze der Nachmittagssonne brennt auf unsere nackten Arme. Zwei Stunden dauert es, bis wir ankommen. Hier werden wir übernachten – eine Felsplatte, direkt neben einem Wasserloch. Unterwegs erzählen uns Jill und Alice die Legenden, die sie mit dieser Gegend verbinden. Mystische Wesen hätten einst hier gelebt. Heute wachten ihre längst verstorbenen Vorfahren über diesen Ort. Alice beginnt zu singen. »Wir bitten euch, unsere Ahnen, um Vergebung, weil wir euch stören«, singt sie in der Sprache des lokalen Stammes. Wer die Urahnen nicht gnädig stimme, dem drohe Tod oder Krankheit, erklärt Katrina. In den Schluchten der Pilbara würden immer wieder Menschen sterben. Sie gleiten auf den glitschigen Felsen aus und stürzen in die Tiefe. Oder sie haben einen Herzinfarkt. Vom Schock, wenn sie von der Anstrengung des Abstiegs in die Schlucht überhitzt ins eiskalte Wasserloch springen. »Die Rache der Geister«, sagen die Frauen.
    Dann sind Alice und Jill plötzlich verschwunden. Fast wie Gespenster, so still, wie sie gekommen waren. Die Sonne geht unter, die ersten Sterne stehen am Himmel. Von einer Minute auf die andere wird es kühler. Dann richtig kalt.
    »Abendessen«, sagt Jim. In einer tiefen Schlucht, fern jeglicher Zivilisation, am Ende der Welt, darf man kein Festmahl erwarten. Doch was Jim auftischt – nicht dass wir einen Tisch hätten –, spottet jeder Beschreibung. »Stilvoll durchs Outback« – immerhin befinden wir uns auf einer Tour, die mehrere hundert Euro kostet, pro Person. Aus seinem Rucksack zieht er drei Dosen Eintopf und zwei Schachteln Kekse. »Hat jemand ein Taschenmesser? Ich habe meinen Dosenöffner vergessen«, meint er mit einer Nonchalance, die uns die Sprache verschlägt. Kein Schweizer macht ohne sein Taschenmesser einen Schritt vor die Tür. Mein Victorinox rettet uns an diesem Abend vor dem Hunger. Als Jim seinen kleinen Campingkocher hervorzieht, Typ »Mount Everest«, stellt er fest, dass die Brennpaste fast alle ist. Nur mit knapper Not schafft er es noch, die drei Dosen »Steak and Beans« lauwarm zu kochen. Wenigstens das. Schweigend essen wir die Matsche. Nicht gut und viel zu wenig für fünf hungrige Leute. Auch die Kekse sind schnell verputzt.
    Die Stimmung ist gedrückt. Maria fragt mich leise, weshalb die australische Tourismusbehörde wohl Journalisten zu einer Tour einlädt, die ganz klar jeglicher Qualität spottet. »Die können froh sein, wenn ich nichts schreibe!«, flüstert sie mir zu. »Lass uns abhauen.« Fast denke ich, sie meint es ernst. Die Temperaturen fallen immer tiefer. Trotz Faserpelzjacke friere ich. Wir greifen uns die Isomatten und Schlafsäcke. Für eine Übernachtung bei tiefen Temperaturen sind sie völlig ungenügend. Beide sind so dünn, man könnte durch sie hindurchsehen, wenn es Licht gäbe. Doch Jim hat auch unsere Taschenlampen vergessen.
    Es ist eine Nacht, die ich nie vergessen werde. Der wolkenlose Himmel über uns lässt das Thermometer in Richtung Gefrierpunkt fallen. Weder Maria noch ich können schlafen. Ich friere so stark, dass meine Zähne klappern. Hoffentlich erzürne ich damit nicht die Geister, denke ich. Um zwei Uhr früh meint Maria, nur noch der Austausch von Körperwärme könne uns vor dem Erfrieren retten. So kommt es, dass ich als glücklich verheirateter Mann und werdender Vater mitten in der australischen Wüste einer wildfremden, zehn Jahre jüngeren, bildschönen Italienerin in den Armen liege. Dank ausgeklügelter Reißverschluss-Technologie können wir unsere beiden Schlafsäcke zu einem einzigen zusammensetzen. Der Austausch von

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