Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
die geologisch ältesten Gesteinsformationen der Welt«, sagt Katrina. »Mindestens zwei Milliarden Jahre.« Noch nie in meinem Leben habe ich so viele unterschiedliche Schattierungen der Farbe Rot gesehen. Das Gestein der Felsen leuchtet, je nachdem, wie die Sonnenstrahlen auftreffen: tiefpurpur, orange, gelblich, gelegentlich fast grün. Als wir anhalten, um zu fotografieren, sehen wir Echsen, die sich auf Steinen sonnen, und Insekten, die um die langen grünen Blätter der Eukalyptusbäume surren. In der Distanz fliegt ein Keilschwanzadler, mit einer Flügelspannweite von zweieinhalb Metern der größte flugfähige Vogel Australiens. Mit majestätischer Eleganz kreist er hoch in der Luft, in der Hoffnung, dass auf der Straße ein Laster ein Känguru erwischt oder dass ein Allradfahrzeug vielleicht eine Echse überfährt, die sich auf dem warmen Asphalt sonnt.
An einem Tagescampingplatz halten wir. »Lunch«, sagt Jim. Er ist ein Mann weniger Worte. Das ist nicht unbedingt ideal für einen Reiseführer. Er wuchtet zwei »Eskys« aus dem Wagen, wärmeisolierte Eiskisten. Fast alle Rastplätze im australischen Outback sind mit einfachen Tischen ausgestattet, mit Bänken, vielleicht noch mit einem kleinen Wassertank und – wenn’s ganz luxuriös sein soll – mit einem Plumpsklo. Jim packt Plastikschachteln aus, jede gefüllt mit einem Sandwich, Salat, Apfel und sogar mit Nachtisch. Fast schäme ich mich für meine Gedanken am Morgen. Bisher ist Jims Service sehr gut, wenn man mal von seiner Wortkargheit und von der Folterkammer absieht, in der wir hier durch die Wildnis fahren.
Die Pilbara ist eines der am wenigsten bekannten Gebiete Australiens und gleichzeitig auch eines der schönsten. Nur wenige Touristen aus dem Ausland verirren sich hierher, nicht nur wegen der Abgelegenheit, sondern sicher auch wegen der Kosten. Wer aber kommt, bereut es selten. Fast eine halbe Million Quadratkilometer groß, an der Küste gesäumt von weißen Stränden, ist das Gebiet unter Reisenden vor allem für eines bekannt: eine Vielzahl von tiefen, roten Schluchten. Über Jahrmillionen haben sich Flüsse durch das Gestein gefressen, immer tiefer, immer enger. In den meisten Schluchten gibt es Seen, die zum Baden einladen. Willkommen ist die Abkühlung in der Hitze des Tages auf jeden Fall. In der Pilbara kann das Thermometer im Sommer schnell mal auf über 45 Grad steigen. In den schattigen Schluchten bleibt es trotzdem meist bei 20 Grad. Die bekannteste liegt wohl im Karijini-Nationalpark, zweifelsohne einer der spektakulärsten Naturschutzgebiete Australiens. Seit Zehntausenden von Jahren leben in dieser Gegend Aborigines. Jeder Fels, jeder kleine Tümpel ist von Bedeutung für die Ureinwohner.
Plötzlich stehen Alice und Jill neben uns. Wir sehen die beiden Aboriginal-Frauen erst, als sie uns ansprechen. Das Zirpen der Grillen hat ihre Schritte übertönt, als wir nach dem Essen eindösten, in der kaum erträglichen Mittagshitze. »Die beiden Damen werden uns in die Schlucht führen«, sagt Jim. Alice und Jill haben das typische Aussehen von Ureinwohnerinnen, die in der Wüste leben. Ihre Haut ist dunkel, fast schwarz, ihre Augenbrauenlinie ist dominant. Beide tragen knallig-farbige Polyester-Kleider, wie die meisten Ureinwohner, die man im Inland Australiens trifft. In der Vergangenheit kannten die meisten Aboriginalstämme keine Bekleidung. Manchmal schützte das Fell eines Kängurus vor dem Frost einer kalten Winternacht. Doch mit der Invasion Australiens 1788 kamen christliche Werte und Moralvorstellungen, die von Missionaren in die entferntesten Ecken des Landes getragen wurden. Nacktheit war plötzlich Sünde. Weshalb viele moderne Aborigines ausgerechnet eine Vorliebe für Polyester-Stoffe haben, die zum Tragen in der Hitze der australischen Wüste gänzlich ungeeignet sind, habe ich nie verstanden.
Jim reicht jedem von uns einen kleinen Rucksack, auf den eine dünne Isomatte und ein Schlafsack geschnallt sind. Langsam machen wir uns in Richtung eines Hügelzuges auf, geführt von unseren beiden Begleiterinnen. Die Frauen tragen Stöcke in ihren Händen, sauber geschnitzt aus Hartholz. »Zum Graben«, erklärt Alice, »und um meinem Alten eins über die Rübe zu ziehen, wenn er nicht tut, was ich will.« Ihr Grinsen ist zahnlos. In der strikt nach Geschlechtern getrennten Kultur der meisten Ureinwohnerstämme Australiens sind Männer für das Jagen verantwortlich, Frauen für das Sammeln. Früchte, essbare Wurzeln,
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