Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
alles abgeholzt. »Ich mag keine Bäume«, erklärt er in holprigem Englisch. Tony ist vor fünf Jahren aus Polen nach Australien gekommen, um hier zu arbeiten. Den Job habe er aber bald verloren. Seither versucht er, sich den Traum einer eigenen Tomatenplantage zu erfüllen. Zehn Leute wolle er beschäftigen. Ich sage ihm meine Unterstützung zu. »Die Gegend braucht Innovation«, sage ich, »jeden Job.« Tony ist ein unangenehmer Typ. Er zeigt keinerlei Interesse an uns und an Mick. Erst als ich ihm erzähle, dass Christine aus Deutschland stammt, taut er auf. »Ah, schönes Land. Gute Leute. Nur schade, dass Hitler den Job mit den Juden nicht zu Ende gebracht hat.« Keine gute Basis für ein freundliches Gespräch unter Nachbarn.
Trotzdem bitte ich Tony – auch im Namen von Mick –, auf sein Recht zu verzichten, für seine Lastwagen die Straße durch unsere Grundstücke zu benutzen. Er habe ja eine eigene. Die Fahrt dauert nur eine Minute länger. »Nein. Im Gegenteil: Wenn mein Geschäft dann so richtig läuft, kaufe ich eure Grundstücke auf und baue darauf auch noch Treibhäuser.« Spätestens jetzt wird mir klar, dass ich mit einem Phänomen in Kontakt gekommen bin, dem ich in den folgenden Jahren in Australien und ganz besonders im Busch immer wieder begegnen werde: dem »Bullshitter«. Einem Mist-Erzähler. Ein Mensch, der unglaublich grandiose Pläne hat und sie auch großmäulig verkündet, aber weder die intellektuelle Kapazität noch den Geschäftssinn hat, sie zu verwirklichen. Ein Jahr später stellte sich heraus, dass die Erde in unserer Gegend gänzlich ungeeignet für den Anbau von Tomaten ist. Ein natürlich vorkommender Pilz verhindert das Wachstum. Hätte Tony vor dem Kauf des Grundstücks einen Bodentest gemacht, hätte er sich das Geld für seine Treibhäuser sparen können. Tony ging bankrott. Mick und ich kauften zehn Jahre später die Straße der Regierung ab. Seither dürfen nur noch wir sie benutzen. Heute noch erinnert das Stahlgestell der Treibhäuser an Tonys geplatzten Tomatentraum.
KAPITEL 14
Träumer wie Tony – Australien ist voll von ihnen. Die meisten wollen jedoch mit weniger schweißtreibenden Methoden das große Geld machen: ein Griff zum Lottoschein, ein Zug am Hebel einer Pokermaschine, eine Wette beim Pferderennen. Seit den ersten Tagen der Besiedelung des Kontinents 1788 sind Australierinnen und Australier geradezu besessene Glücksspieler. Damals spielte man um ein paar Penny. Heute ist die Spielindustrie einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Kein Land der Welt pumpt mehr Geld in Wetten, Lottospiele, Pokermaschinen, Pferde- und Hunderennen. Praktisch jeder Erwachsene gibt mindestens einmal im Jahr ein paar Dollar fürs Glücksspiel aus oder ein paar tausend. 80 Prozent der Bevölkerung spielen regelmäßig. Im Jahr 2009 bezahlten Australierinnen und Australier sagenhafte 12 Milliarden Dollar für »Bets«. Der Fiskus ist süchtig nach dem Spiel-Geld. Bis zu zehn Prozent der Einkommen von Bundesstaaten wie New South Wales stammen aus Steuern, die Glücksspieler bezahlen müssen – mit jeder Wette, mit jedem Lottoschein. Eine nationale Sucht. Mit katastrophalen Konsequenzen.
Kein anderes Ereignis symbolisiert die Besessenheit der Australierinnen und Australier mit dem Glücksspiel mehr als der Melbourne Cup, das größte und wichtigste Pferderennen des Jahres. Ich habe den Auftrag, eine Reportage darüber zu schreiben. Doug, mein liebenswerter britischer Kollege, fliegt gemeinsam mit mir nach Melbourne. Er schreibt für eine Nachrichtenagentur und geht als asketisch lebender Vegetarier bestimmt keinen frivolen Lastern nach. Das Glücksspiel jedenfalls ist ihm zuwider.
Der Cup lässt die Nation stillstehen. Arbeiter in den Fabriken legen für ein paar Minuten die Werkzeuge nieder, Banken schließen ihre Schalter, Politiker ihren Mund. Zumindest für eine halbe Stunde. Ganz Australien schaut fern, wenn auf der Rennbahn im Stadtteil Flemington die Besten der Besten unter den Pferden um den Pokal rennen. Das Siegertier, sein Reiter – der Jockey – und der Trainer sind für ein paar Tage die Helden der Nation. Und das, obwohl Millionen von Glücksspielern während des Rennens Millionen von Dollar verlieren. Ökonomen rechneten aus, dass Spielverluste und Produktionsausfälle am Tag des Melbourne Cups die australische Wirtschaft Hunderte von Millionen Dollar kosten. Doch kein Arbeitgeber würde es wagen, seinen Angestellten zu verbieten, das Rennen am
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