Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Klippe«, im wahrsten Sinne des Wortes. »Ich war kurz davor, mich umzubringen. Ich war schon auf dem Weg zu den Klippen in Sydney«, sagt er, dann habe er es sich nochmals überlegt und begonnen, sein Leben unter Kontrolle zu bringen. Die Organisation, für die er heute als Freiwilliger arbeitet, habe ihm dabei geholfen. Der Mann weiß, wovon er spricht, wenn er andere Spielsüchtige berät. Jahrelang habe er gespielt, vor allem an Automaten, und dabei Hunderttausende von Dollar verloren. »Erst ging die Frau, dann gingen die Kinder, dann der Job.« Und dann verlor Callum das Haus. Er habe Schulden von über einer halben Million Dollar. Es werde wohl bis zum Ende seines Lebens dauern, bis er die abbezahlt habe, klagt Callum.
Glücksspiel ist in Australien ein Volkssport. Wer nicht zumindest ab und zu zum Wettzettel greift, kann fast kein »Aussie« sein. »Es ist normal, dass Politiker im Vorfeld einer Rede zum Thema Spielsucht sagen: ›Wie jeder Australier spiele ich gerne gelegentlich‹«, sagt Tim Costello, Priester und der wohl bekannteste Kritiker der australischen Spielkultur. »Es gehört einfach dazu.« Doch Hunderttausende könnten genau das eben nicht: nur gelegentlich wetten oder den Arm des Pokerautomaten ziehen und dann wieder aufhören. Spielsucht ist eines der folgenschwersten Probleme der australischen Gesellschaft und der teuersten. Offiziellen Zahlen zufolge sind über eine halbe Million Australier krankhafte Spieler, Menschen, die ihre Sucht nicht mehr unter Kontrolle haben. Frauen, die ihr Haushaltsgeld in den Automaten lassen und deren Kinder zu Hause hungern müssen. Männer, die von ihrem Arbeitgeber Geld unterschlagen, nur um es am Pokertisch auch noch zu verlieren. Die Folgen der Spielsucht kosten die australische Gesellschaft bis zu fünf Milliarden Euro pro Jahr. Konkurse von Geschäften, der Zusammenbruch von Familien, Scheidungen, Alkoholismus, Selbstmorde. Problemspieler, wie sie genannt werden, sind sechsmal häufiger geschieden als Menschen, die nicht spielen. Problemspieler rauchen und trinken viermal häufiger exzessiv als der Durchschnitt. Kinder von Spielern werden zehnmal häufiger selbst spielsüchtig als Kinder von Nichtspielern.
Spielsucht frisst sich durch die australische Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür. Sie betrifft – wenn nicht direkt, dann zumindest am Rande – fast jede Familie, jeden Freundeskreis, die Nachbarn. Jahre später sollte mir Mick erzählen, er habe jahrzehntelang gespielt und sich »zum Schluss nicht mehr unter Kontrolle gehabt«. Mehrere hundert Dollar pro Woche habe er ausgegeben, in erster Line für Wetten auf der Pferderennbahn. Hunderttausende habe er verloren in 30 Jahren. »Und dann, eines Tages, ohne einen bestimmten Grund, hörte ich einfach auf«, meinte er. Seither gehe es ihm gut.
Christine und mich hat dieser Spielvirus nie gepackt. Nur ein einziges Mal, kurz nach unserer Ankunft in Australien, versuchten wir unser Glück an einem Pokerautomaten. Ich warf eine Dollarmünze ein. »Mini-Jackpot«, leuchtete es auf der Tafel, als unten am Apparat 18 Dollar in die blecherne Auffangschüssel fielen. »Jetzt müssen wir aufhören«, sagte Christine. Wie eigentlich immer hatte sie auch diesmal recht.
KAPITEL 15
Coxi schnürt den Stahldraht, als wäre er aus weichem Plastik. Der Mann hat Hände wie Schraubstöcke. Ich kann den Draht gerade mal um einen Millimeter biegen. Es ist 36 Grad heiß, tausend Fliegen surren mir um den Kopf. Ich kann so viel Wasser trinken, wie ich will, und bleibe trotzdem durstig. Wenn wir so weitermachen, falle ich ins Delirium. »Komm, streng dich noch etwas an, dann haben wir es für heute«, versucht Coxi, mich anzuspornen, und macht ein »Figure 8«. Die Nummer 8 ist das A im ABC des Zäunens. Der wichtigste Knoten, den australische Zaunbauer kennen müssen, ein Knoten, mit dem man einen Draht an einem Eckzaunpfosten festmacht und der 100 Jahre halten soll. »Jedes Kind kann ihn«, sagt Coxi. Jedes Kind, aber ich nicht. Ich schaffe es gerade noch, mit Hilfe von zwei großen Zangen aus dem drei Millimeter dicken Draht eine Schlaufe zu winden. Coxi macht das mit den Fingern. »Hier«, sagt er, »so geht es.« Zum zehnten Mal schaue ich Coxi zu, und zum zehnten Mal fühle ich mich wie ein kompletter Idiot.
Bin ich froh, als blutiger Anfänger in der Landwirtschaft einen derart geduldigen Lehrmeister zu haben. Coxi ist etwa 60 Jahre alt, trägt Glatze und gegerbte Haut, von Jahrzehnten unter der
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