Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
eigentlich nie wirklich, wer da kommt. Die meisten »Woofer« aber sind phantastische Gäste und Arbeiter, fleißig und pflichtbewusst und dankbar. Einige wenige sind ziemlich faul, andere trinken exzessiv. Aus diesem Grund haben wir Alkohol schon vor Jahren vom Menü genommen. Bei den hohen Preisen für Bier in Australien wären wir sonst ruiniert. Nur am Samstag gibt’s ein Bier oder ein Glas Wein. Zum Raclette.
Ich erinnere mich gerne an unsere ersten »Woofer«. Lee und Julia waren Mitte 20, kamen aus Hongkong und waren frisch verheiratet. Nie zuvor hatten sie ihre Heimat verlassen, und dann ging’s gleich nach Australien. Sie kamen mit dem letzten Zug aus Sydney in Greentown an. Als wir vom Bahnhof durch die Nacht zu unserem Grundstück fuhren, konnte ich ihre Unsicherheit fühlen. Sie sprachen kaum ein Wort, ich glaube, weil sie fürchteten, sie würden von einem Serienmörder in die Wildnis entführt.
Ihre Angst verwandelte sich in Begeisterung, als sie vor unserem Shed aus dem Auto stiegen. »Oh mein Gott. Diese vielen Sterne«, schrie Julia, als sie zum Himmel schaute. Über uns zog sich – in voller Pracht – die Milchstraße. Weil es in unserer Region kaum starke Lichtquellen gibt, ist auch die Lichtverschmutzung des Nachthimmels gering. Für Julia und Lee war dieser Abend ein lebenveränderndes Ereignis, wie sie mir später mit Tränen in den Augen gestanden: Noch nie in ihrem Leben hätten sie in der von Smog bedeckten Großstadt einen Stern gesehen – außer im Fernsehen. In Hongkong scheint es auch keine Erde zu geben. Als ich den beiden den Auftrag gab, ein Stück Boden umzugraben, wussten sie nicht, wie man eine Schaufel in der Hand hält. »Wir haben zu Hause nur einen Blumentopf. « Die beiden blieben zwar unbeholfen, entwickelten sich schließlich aber zu begeisterten Gärtnern. Jeden Tag musste ich sie bei Einbruch der Dunkelheit drängen, endlich mit der Arbeit aufzuhören. Durchgefroren, aber zufrieden über den Kontakt mit Erde wärmten sie sich bei einer Tasse grünem Tee auf und übten mit Samuel und David das Schreiben chinesischer Schriftzeichen.
Woofer kommen aus allen Ecken der Welt. Wir nehmen vor allem Besucher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auf. Das hat nicht zuletzt den Grund, dass Samuel und David auf diese Weise Kontakt mit ihrer Zweit- und Drittsprache haben können. Während vor ein paar Jahren vor allem Leute kamen, die gerade einen Uni-Abschluss hinter sich hatten, sind es heute meist jüngere Reisende, die sich nach dem Abitur ein Jahr Auszeit leisten. Die meisten kommen mit der Hoffnung nach Australien, hier »jobben« zu können. Doch der Traum vom Geldverdienen verfliegt nicht selten gleich nach der Ankunft. Die Besucher stellen fest, dass es in Australien wesentlich weniger Teilzeitjobs für Ungelernte gibt, als sie gehofft hatten. Dann ist Woofing eine sehr gute Alternative. Die Besucher haben keine Kosten, dafür aber ein Bett und etwas zu essen.
Woofing ist nicht nur jüngeren Reisenden vorbehalten. Immer wieder melden sich bei uns Leute, die weit über 50 Jahre alt sind. Einige haben Woofing zu ihrem Lebensinhalt gemacht. Bert zum Beispiel. Er reist seit zehn Jahren von einer Woofer-Farm zur nächsten und bleibt in der Regel für mehrere Monate an einem Ort. Die Schicksale dieser Profis ähneln sich: Nach einer Scheidung im Alter von 56 Jahren hatte Bert sein Hab und Gut in Adelaide verkauft und lebt seither, »wo mich das Schicksal eben hintreibt«. Für solche Woofer sind Gastfamilien oft die einzigen, die sie überhaupt haben. Bis heute habe ich Kontakt mit Bert. Er wird bestimmt wieder mal hier auftauchen. Wahrscheinlich an einem Samstag. Zum Raclette.
Lisa und Agatha machen Pause. Sie setzen sich zu uns auf die Veranda und trinken einen Tee. Max folgt ihnen. Er liebt diese Besucherinnen und Besucher. Eigentlich wollten die beiden nur für eine Woche bleiben, jetzt sind sie schon fast einen Monat bei uns. Der Grund ist nicht, dass wir besonders leichte Steine zu schleppen hätten. Woofer, die schon viele Monate in Australien unterwegs sind, lieben es, wieder mal wie bei Muttern essen zu können – Frikadellen, Sauerkraut, selbstgebackenes Brot. Deutsch eben.
Die jungen Reisenden erinnern mich an meine eigene Zeit als Backpacker. Damals, 1989, als Brigitte und ich nach unserer Durchfallodyssee durch Bali nach Darwin geflohen waren. Nach zwei Tagen in Australien taten wir, was viele Reisende tun: Wir kauften ein Auto. Ein eigenes
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