Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
das Gewehr. Charlie positioniert sich hinter dem Jungen, um ihm zu helfen, den Rückschlag abzufangen. Shane und ich stehen in sicherer Entfernung und schauen zu. Carl verfehlt. Der Schuss geht in den Himmel. Das Schwein, aufgeschreckt vom Donnerknall, rennt in gestrecktem Galopp davon. »Noch mal, jetzt, los!«, ruft Charlie. Carl drückt erneut ab. Treffer. Wir sehen, wie das Schwein einen Luftsprung macht und sich um die eigene Achse dreht. »Oh Shit«, sagt Charlie. »Du hast ihm die Schnauze weggeschossen.« Als ich mit meinem Fernglas Ausschau halte, sehe ich, wie das bedauernswerte Tier mit blutiger Nase in Richtung Westen rennt. An seiner Schnauze hat der Eber zwei riesige Hauer. »Wir müssen ihn erwischen«, sagt Charlie. Nicht nur, weil er sonst elendiglich zugrunde gehen würde, sondern weil ein verletzter Keiler eine tödliche Gefahr ist. Carl, die Waffe noch immer in den Händen und inzwischen ziemlich verstört, dreht sich, mit Gewehr, in Richtung seines Vaters. Wie synchronisierte Balletttänzer gehen Shane und ich in die Knie, aus der Ziellinie. Dann nimmt ihm Charlie die Waffe aus der Hand. Die beiden steigen ins Fahrzeug und rasen los, in der Hoffnung auf einen Todesschuss.
Und uns vergessen sie. Von einer Sekunde auf die andere sind Shane und ich alleine. Mitten in der Wildnis, umgeben von hüfthohem Gras, in dem sich irgendwo ein schwerverletztes und wohl ziemlich wütendes Schwein versteckt – bereit, mit seinen messerscharfen Keilern zu zerfleischen, was oder wer auch immer ihm in den Weg kommt.
»Shit«, sagt Shane. Allerdings.
Mit vorsichtigen Schritten gehen wir in Richtung des einzigen Baumes, den wir in diesem Savannen-Gebiet sehen. Ein dürrer Eukalyptus, mit einem Stamm so dick wie ein Männerbein. Wir legen uns einen Fluchtplan zurecht, für den Fall, dass das Schwein angreift. »Du kletterst zuerst«, sagt Shane, »du bist leichter.« Ich schaue am Baum hoch. Unter keinen Umständen wird dieses dürre Gerippe zwei erwachsene Männer halten können, wenn wir in Panik hochklettern. So halten wir uns beide am Stamm fest. »Pst«, sage ich, und wir beginnen zu lauschen. Beim geringsten Ton erschrecken wir. Wir sind bereit, in der nächsten Sekunde auf den Baum zu klettern. Oder es zumindest zu versuchen.
Als wir dastehen wie zwei komplette Idioten, mitten in der Pampa, überlege ich, wie wohl die Schlagzeile aussehen würde. »Shane Wright und Journalist von Schwein zerfleischt.« Oder: »Eber frisst Shane Wright und verschmäht Journalisten.« Oder: »Shane Wright besticht Journalisten für Platz in Baumkrone.«
40 Minuten harren wir aus, bis Charlie und Carl wiederkommen. Sie hatten kein Glück. Der Eber ist entkommen. Dem Tier steht nun ein langsamer Tod bevor. Carl ist fix und alle. Er hat Tränen in den Augen und fühlt sich total schuldig. Als wir in unserem Jeep wieder ins Camp fahren, erinnert sich Shane plötzlich daran, dass ich ein Journalist bin. »Das bleibt aber unter uns, ja?«, mahnt er uns. Na klar, Shane. Das Interview mit ihm mache ich schließlich am Abend, bei ein paar Gläsern Wein. Und viel Gelächter.
Zu Hause erwarten mich gute Nachrichten. »Unser Solarprogramm hebt ab«, erzählt Trish. Die Zahl der Installationen steige deutlich an. Neben Patricks Firma bieten nun auch andere Unternehmen günstige Solaranlagen an. Nach anfänglichem Zögern macht auch die Gemeindeverwaltung mit. Krönender Abschluss unseres ersten Projektes: Auf dem Touristeninformationsgebäude mitten in der Stadt lässt Patrick acht Solarpaneele montieren. In der Greentown Post posiert die Stadtregierung, als sei es ihre Idee gewesen.
Auch Mick und Julie entscheiden sich für ein paar Solarpaneele auf Micks Shed. Sie fragen mich um Rat, welches System sie kaufen sollten. Kaum ist es installiert, meldet die Regierung von New South Wales, sie stoppe das generöse Unterstützungsprogramm. Statt 60 Cents pro Kilowattstunde gäbe es jetzt nur noch einen Bruchteil dessen. Wirklich überrascht ist kaum jemand. Nicht nur war die hohe Vergütung langfristig nicht nachhaltig, die Subvention war den Konservativen bereits ein Dorn im Auge, als sie von der Labor-Regierung die Macht übernommen hatten. Die offizielle Begründung: Das Programm sei zu erfolgreich gewesen, zu viele Leute hätten Solaranlagen installiert. Das habe die Kosten für Strom hochgetrieben. Stimmt. Was der Politiker aber nicht sagte: Die Nachfrage nach schmutzigem Kohlestrom ging gleichzeitig deutlich zurück. Vor allem,
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