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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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Everest, sagen Geologen. Erosion trug den Felsen schließlich ab, 300 Millionen Jahre lang, und hinterließ ein Gebirge, das mit einer Vielzahl von Schluchten durchsetzt ist. Wenn man in Richtung Glen Helen fährt, würde man nicht denken, welche Schönheit sich in diesen Bergen versteckt. Immer wieder können Reisende in kleine Seitenwege abbiegen. Nach ein paar Kilometern findet man sich in einer Schlucht aus rotem Stein, aus dem Geist-Eukalyptusbäume wachsen, mit strahlend weißer Rinde. Meist gibt es ein Wasserloch, in dem es sich zu baden lohnt. Damals konnte man dort auch sein Zelt für die Nacht aufstellen. Heute ist das nicht mehr überall erlaubt.
    Es war schon später Nachmittag, als wir in unserem Falcon die ersten Abzweigungen passierten. »Lass uns hier reinfahren«, sagte ich zu Brigitte bei der Schlucht »Standley Chasm«. Doch dann entschieden wir uns, noch weiter zu fahren, zur nächsten Schlucht. Brigitte sah das braune Schild zuerst: »Ellery Creek Big Hole«, sagte sie, »hier ist es sicher schön zum Übernachten.« Unser Falcon rüttelte und schüttelte, als wir in die ungeteerte, steinige Straße einbogen.
    Nach ein paar Kilometern kamen wir am kleinen See an. Das Wasserloch ist eines der landschaftlich eindrücklichsten im MacDonnell-Gebirge. Im Vordergrund kristallklares Wasser. Darin spiegelt sich die steile Schlucht aus rotem Felsen. Das Bild ist gesäumt von Büschen und Eukalyptusbäumen. Etwas abseits, auf einer sandigen Fläche, stellten wir unser kleines Zelt auf. Es gab hier kaum Menschen. Nur in der Ferne sah ich vier Badende. Eine Frau sonnte sich auf einem großen umgefallenen Baumstamm. »Fast wie in einer Urlaubsbroschüre«, sagte ich zu Brigitte.
    Ich hielt meinen großen Zeh nur für zwei Sekunden ins Wasser und fürchtete, er würde mir abfrieren. Doch Brigitte ließ sich von der Kälte nicht abhalten und sprang in den See. Es sollte bald dunkel werden. So bereitete ich unser Abendessen vor. In etwa 100 Metern Distanz sah ich, wie die Leute von vorhin in ihrem kleinen Camp ein Feuer machten. Ich hörte Sprachfetzen. »Das sind Deutsche«, sagte ich zu Brigitte, als sie zitternd vor Kälte zum Zelt kam.
    Es war längst dunkel, als wir mit dem Essen fertig waren. An einem Wasserhahn wuschen wir im Schein unserer Stirnlampen die Töpfe und Teller. Die Einrichtung auf diesen Buschcampingplätzen war damals rudimentär, falls es überhaupt eine gab. Ein Wassertank und ein Plumpsklo galten als Luxus. Auch ein paar tiefliegende Holztische gab es, jeder etwa drei Meter im Quadrat und etwa 70 Zentimeter über dem Boden. Ein idealer Ort, um in einer lauen Nacht seinen Schlafsack auszurollen, ohne fürchten zu müssen, dass einem eine Schlange reinkriecht.
    Brigitte und ich lasen im Schein unserer Lampen, als einer der Deutschen zu uns kam. »Hallo, ich bin Paul«, meinte er. »Wollt ihr nicht zu uns rüberkommen?« Er war ausgesprochen freundlich, ein gutaussehender schlaksiger Mann von 28 Jahren mit schulterlangem schwarzen Haar und einem dünnen Schnurrbart. Brigitte und ich folgten ihm.
    Im Schein der Flammen saßen außer Paul noch Petra und Karl, ein Paar aus München. Hinter Petra, etwas versteckt am Rand eines der Holztische, saß Pauls Freundin. »Hallo, ich bin die Tine«, sagte sie und lehnte sich nach vorne. Sie war klein und zierlich und hatte blonde, nach hinten gebundene Haare. Und die blausten Augen, die ich in meinem Leben je gesehen habe. Sie lächelte mich an, ich lächelte zurück.
    Tine, oder Christine, wie sich herausstellen sollte, kam aus Nürnberg und reiste mit Paul ein gutes Jahr lang durch die Welt. Wie Brigitte und ich eigentlich. Wir sechs verstanden uns auf Anhieb gut. Paul war ein begnadeter Witze-Erzähler. Doch eigentlich hatte ich nur noch Augen für diese Frau. Und sie für mich. Das spürte ich. Aber sagen konnten weder sie noch ich etwas. Wir waren nie alleine – keine Minute.
    Die kommenden Tage sollten zu den schwierigsten meines Lebens werden. Während wir in unseren Autos die verschiedenen Schluchten abfuhren, hatte ich in der einen Minute Selbstzweifel, in der nächsten war ich euphorisch. Ein Wechselbad der Gefühle, überschattet von einem immer schlechteren Gewissen gegenüber Brigitte. Die einzigartig schöne Szenerie im Zentrum von Australien lenkte mich immer mal wieder ab. Wir fuhren weiter nach Kings Canyon, eine andere Schlucht, tief im Amadeus-Becken der zentralaustralischen Wildnis. Felswände von bis zu über 100 Metern

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