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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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wenn die Klimaanlagen auf Hochtouren liefen – in der Mitte des Tages –, pumpten die Solarinstallationen Strom ins Netz. Das passte der Kohlestrom-Industrie natürlich nicht. Sie machte Druck auf die Politiker. Fast fühle ich mich ein wenig schuldig, dass ich Mick und Julie empfohlen hatte, Solar zu installieren. Doch sie verstehen die Situation rasch.
    Die beiden als Nachbarn zu haben ist ein Segen. Wenn man auf dem Land lebt, im Busch, ist kaum etwas so wichtig wie ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn. Ganz besonders in unserer Situation. Weg von der Stadt und vor allem weit weg, sehr weit weg, von unseren Familien in Europa. In einem typischen Monat verbringe ich gut zwei Wochen auf Reisen. Recherchen, Reportagen – in Australien, in Neuseeland, in Ozeanien. In dieser ganzen Zeit liegt die Last des Alltags auf den Schultern von Christine. Und gelegentlich auch auf denen von Mick und Julie. »Sie sind der Ersatz für meine Familie in Australien«, sagt Christine.
    Wie Mick ist auch Julie typisch australisch. Um die 50, konservativ in ihren Ansichten, aber immer liebenswert und hilfsbereit. Julie arbeitet in einem Heimwerkerladen. Am Abend ist Julie immer zu Hause. »Komm doch zum Tee«, sagt sie zu Christine, und »ich koche Tee«. Tee und Tee – Tea auf Englisch – ist nicht dasselbe. Auf dem Land steht das Wort sowohl für das heiße Getränk als auch für die Hauptspeise des Tages. Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, was gemeint war, wenn Mick meinte: »Heute gibt es Lammbraten zum Tee.«
    Doch heute meint Julie tatsächlich Tee. Christine geht gerne runter zum Quatschen. Ich sitze – wie eigentlich an jedem Abend – an meinem Pult und arbeite. Wegen des Zeitunterschieds zwischen Europa und Australien ist es für mich entscheidend, am Abend erreichbar zu sein. Die meisten Redaktionen entscheiden zu dieser Zeit, ob sie eine Geschichte von mir wollen.
    Eine Stunde später, und Christine kehrt zurück – wie vom Teufel gejagt. »Max hat alle Hühner getötet«, sagt sie tränenüberströmt. Während Julie und Christine in Julies Küche über Gott und die Welt diskutiert hatten, wurde Max im Garten unserer Nachbarn zum Massenmörder. »Neun Hühner haben wir tot gefunden«, sagt Christine, »zwei sind vermisst.« Mir sinkt das Herz in die Hose. Nicht unbedingt nur, weil mir die Hühner leidtun. Ein Angriff auf die Haustiere durch einen Hund kann das Ende der guten Beziehungen zu den Nachbarn sein. Und für den Hund bedeutet eine solche Attacke das Todesurteil. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, das auf dem Land für jeden gilt: Ein Besitzer muss seinen Hund erschießen, wenn dieser die Tiere von Nachbarn angreift. Ich fahre sofort zu Mick und Julie, um mich zu entschuldigen und um Gnade für Max zu bitten. »Samuel würde mir mein Leben lang nicht verzeihen, wenn ich jetzt seinen geliebten Hund erschieße«, sage ich. Ich habe das Glück, auf Verständnis zu stoßen. Julie ist zwar alles andere als begeistert von Max’ Tat. Doch sie gesteht dem Hund eine Gnadenfrist zu. Mick sieht das Ganze mit seiner typischen Gelassenheit. »Mir gingen diese Hühner eh auf den Wecker«, meint er nur und nimmt einen Schluck aus der Bierdose. Ich verspreche Julie, auf unserem Grundstück bald selbst einen Hühnerhof zu bauen und sie für den Rest des Lebens mit Eiern und garantiert glücklich lebenden Hähnchen zu versorgen.

KAPITEL 34
    Wir scheinen nicht viel Glück mit gefiederten Tieren zu haben. Zwei Tage nach dem Tod der Hühner nutzte Davids Nymphensittich die Gunst der Sekunde und flüchtete, als eine Tür offen stand. Eigentlich schade. Tiny war ein begabter Pfeifer. Unzählige Male schaffte er es, mich aus dem Büro zu locken. Er beherrschte brillant den Piepton unseres Mikrowellenofens, und ich fragte mich jedes Mal, wer denn jetzt die Milch so unnötig lange aufheize.
    Am Samstag nach Tinys Flucht fuhren wir ins Dorf, um Ersatz zu kaufen. Auf dem Weg zu dem Geschäft spazierten wir über den Markt, der einmal pro Monat in Greentown stattfindet. Dort verkaufte eine Frau Miniaturschweine. Sechs kleine Ferkel, keines viel größer als ein Meerschweinchen. »So eins will ich«, sagte David. Da ich ihm versprochen hatte, »ein Tier« zu kaufen, nicht unbedingt einen Vogel, war jeder Widerstand zwecklos. Ein kurzer Anruf bei Christine bestätigte meinen Verdacht, dass sie nicht begeistert sein würde von der Idee.
    »Bist du wahnsinnig?«, fragte sie. »Ein Schwein kommt mir nicht ins Haus.«

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