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Weit weg ... nach Hause

Titel: Weit weg ... nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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dem Popstars und Schauspieler übernachten,
     manchmal sogar berühmte Politiker.
    Plötzlich hört Luisa Musik. Irgendjemand spielt Geige, begleitet von einem Klavier. Da stampft ein beachtliches Personenschiff
     gegen die Strömung den Fluss hinauf: zwei Etagen mit Kabinen, Liegestühle auf Deck und ein Restaurant mit Tischlämpchen. Die
     Musik kommt aus einem Salon, in dem Leute am Fenster sitzen und auf die Stadt schauen. Als das Passagierschiff vom Ufer wegdreht,
     entdeckt Luisa die Flagge am Heck: rot mit einem weißen Kreuz in der Mitte.
    Luisa erinnert wieder einzelne Bilder ihres Traums, sie hebt den Kopf und starrt dem Schiff hinterher: Von einer Sekunde zur
     nächsten weiß sie, was sie tun muss. Jetzt weiß sie, wie sie der schrecklichen Klassenfahrt entkommen kann: Sie wird in die
     Schweiz fahren. Eine geniale Idee!
    Luisa verspürt ein ungeheures Glück, sie möchte die Welt umarmen. Vor Freude springt sie auf und tanzt und dreht sich um ihre
     eigene Achse, bis siedas Gleichgewicht verliert. Torkelnd stößt sie gegen die Bank und ratscht mit dem Bein an einem herausstehenden rostigen Nagel
     entlang.
    Kurz betäubt die Freude über den Einfall noch den Schmerz, aber dann sieht sie das Blut. Ihre Hose hat am linken Bein einen
     zehn Zentimeter langen Riss. Mit zusammengebissenen Zähnen reibt sie den Unterschenkel. Katja wird Theater machen wegen der
     Hose.
    Katja! Luisa schlägt sich an die Stirn: das Brot! Mist! Sie muss sich beeilen. Sie nimmt das Rad und biegt vom Rhein in das
     Wohnviertel, fährt mit wehender Kapuze und fliegenden Haaren zur Bäckerei.
    Die Jalousien sind halb heruntergelassen, die Auslagen leer geräumt, das Geschäft ist geschlossen. Es muss schon weit nach
     zwei Uhr sein. Fassungslos starrt Luisa auf die Eingangstür. Ihr Bein schmerzt plötzlich fürchterlich. Tränen schießen ihr
     in die Augen. Heult sie vor Schmerz oder vor Stress? Sie weiß es selber nicht.
    Eins ist auf jeden Fall völlig klar: Ihre Familie wird weder heute noch morgen das leckere Brot frühstücken können. Wie soll
     sie das bloß erklären?

Hafengelände   – Betreten verboten!
    Keine Bühne der Welt könnte ein eindrucksvolleres Theaterstück bieten als die zu Hause in dem Moment, als Luisa gegen drei
     Uhr nachmittags mit zerrissener Hose und ohne Brot die Wohnung betritt. Zuerst starrt Katja sie nur ungläubig an, dann beginnt
     sie zu schimpfen, dass die Gläser in der Vitrine scheppern. Dazwischen Thomas’ verzweifelte Bemerkung: »Das kann doch wohl
     nicht wahr sein!«, und dann wendet sich der Vater zum Gehen, verlässt kommentarlos die Wohnung. Der gestrige Abend in der
     Pizzeria war nur ein müder Abklatsch gegen die heutige Show, die diesmal Katja bestreitet. Das Brot spielt dabei nur eine
     nebensächliche Rolle. Es geht einzig und allein um Luisa: ihre Unzuverlässigkeit, ihre Pampigkeit, ihre Verantwortungslosigkeit.
     Luisa steht in derKüche, hört zu, pult den Dreck unter ihren Fingernägeln weg: Schwarze Brocken, groß wie Gewittertierchen, landen auf der weißen
     Anrichte. Die Mutter sitzt am Tisch und raucht und redet.
    Die Moralpredigten, sie rauschen über Luisa hinweg, als habe sie sich in ein Erdloch eingegraben, um einen orkanartigen Wüstensturm
     zu überleben. Sie zeigt keine Regung, ihr Gesicht bleibt blass und starr. Schimpftiraden berühren sie nicht mehr. Am Montag
     würde sie ihre Idee in die Tat umsetzen: Am Montag flieht sie aus diesem schrecklichen Theater. In den Süden.
     
    Endlich Sonntagabend! Luisa liegt eingerollt unter ihrer Bettdecke, gemütlich und warm, und doch zittert sie vor Aufregung.
     Morgen ist es so weit, sie darf nichts vergessen: die Adresse der Tante in der Schweiz, die Telefonnummer, ihre Stifte und
     Papier, Geld. Geld! Sie springt aus dem Bett, läuft zum Bücherregal. Auf dem obersten Brett steht ein dickes Lexikon. Im hinteren
     Teil des Buches klebt eine Einsteckhülle mit einer CD.   Luisa schiebt die CD nach vorn und fischt vier Scheine aus der Hülle: 200   Euro, ihre Ersparnisse. Oma und Opa Hoppe haben es ihr zum letzten Geburtstag und für gute Zeugnisnoten geschickt. Gute Noten,davon gab’s leider nicht so viele. In Kunst hatte sie eine Eins und in Deutsch eine Zwei, auch Biologie war ganz okay. Der
     Rest, na ja, sie will sich verbessern.
    Luisa wollte von dem Geld ein Buch über Pflanzen und Blumen kaufen, eine wahnsinnig teure Ausgabe, die sie in einem Profizeichenladen
     gesehen hat, es sollte ihr als Vorlage

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