Weit wie das Meer
grelle Sonnenlicht.
»Sehe ich so schlimm aus?«
Ihre Knie waren schwarz, und ein dunkler Streifen verlief quer über ihre Wange. Ihr Haar war zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden, aus dem sich einzelne Strähnen gelöst hatten, und ihr Gesicht war rot und schweißbedeckt von der Anstrengung.
»Du siehst perfekt aus.«
Catherine zog ihre Handschuhe aus und legte sie über das Verandageländer. »Ich bin nicht perfekt, Garrett, aber trotzdem danke. Komm, laß uns rasch essen. Du mußt bald wieder im Laden sein.«
Mit einem Seufzer wandte er sich ihr wieder zu. Theresa sah ihn an und wartete.
»Sie war alles, was ich mir jemals gewünscht habe. Sie war hübsch, sie war charmant, sie war schlagfertig, und sie hat mich in allen wichtigen Dingen unterstützt. Ich habe sie praktisch mein ganzes Leben lang gekannt - wir sind zusammen zur Schule gegangen. Nach meiner Abschlußprüfung am UNC haben wir dann geheiratet. Wir waren sechs Jahre verheiratet, bis es zu dem Unfall kam, und es waren die schönsten sechs Jahre meines Lebens. Als sie mir genommen wurde…« Er hielt inne, als suche er nach Worten. »Ich weiß nicht, ob ich mich jemals an ein Leben ohne sie gewöhnen kann.«
So wie er über Catherine sprach, konnte sie seinen Schmerz noch besser nachempfinden, als sie erwartet hatte. Es war nicht nur seine Stimme, sondern auch der Ausdruck seines Gesichts, bevor er mit seiner Schilderung begann - als wäre er zerrissen zwischen der Schönheit der Erinnerungen und ihrer Qual. Wie anrührend seine Briefe auch gewesen waren - auf eine Situation wie diese hatten sie sie nicht vorbereitet. Ich hätte es nicht zur Sprache bringen sollen, dachte sie. Ich wußte ja längst, was er für sie empfindet. Es gab keinen Grund, ihn darüber sprechen zu lassen.
Doch, es gab einen Grund, meldete sich plötzlich eine andere Stimme in ihrem Innern zu Wort. Du mußtest seine Reaktion selbst sehen. Du mußtest herausfinden, ob er bereit ist, das Vergangene hinter sich zu lassen.
»Tut mir leid«, sagte Garrett nach einer Weile.
»Was?«
»Ich hätte Ihnen nicht von ihr erzählen sollen. Oder so viel über mich.«
»Ist schon gut, Garrett. Ich hatte Sie ja drum gebeten.«
»Ich wollte mich nicht so gehenlassen.« Er sprach, als hätte er etwas Unrechtes getan.
Instinktiv trat sie zu ihm heran, nahm seine Hand und drückte sie sanft. Als sie ihn ansah, gewahrte sie Erstaunen in seinen Augen, auch wenn er seine Hand nicht zurückzog.
»Sie haben Ihre Frau verloren - das ist etwas, das sich die meisten Menschen in Ihrem Alter gar nicht vorstellen können.« Sie senkte den Blick, während sie nach den richtigen Worten suchte. »Ihre Gefühle sagen viel über Sie aus. Sie gehören zu den Menschen, die einen anderen für immer lieben… Das ist nichts, wofür man sich schämen muß.«
»Ich weiß. Es ist nur, daß es schon drei Jahre her ist…«
»Eines Tages werden Sie wieder einen anderen Menschen lieben können.«
Noch einmal drückte sie seine Hand, und Garrett spürte, wie die Berührung ihn wärmte. Aus einem unerfindlichen Grund wollte er die Hand nicht loslassen.
»Ich hoffe, Sie verstehen mich«, sagte er schließlich.
»Natürlich tue ich das. Sie wissen doch, ich bin Mutter, oder haben Sie das vergessen?«
Er lachte leise und versuchte, die innere Anspannung zu verscheuchen. »Ich weiß. Und Sie sind bestimmt eine gute.«
Sie machten kehrt und schlenderten - noch immer Hand in Hand - zum Hafen zurück. Als sie seinen Wagen erreicht hatten und zu seinem Laden fuhren, war Garrett verwirrter denn je. Die Ereignisse der letzten beiden Tage waren so unerwartet gewesen. Theresa war nicht länger eine Fremde oder ›nur‹ eine Freundin. Kein Zweifel, daß er sich zu ihr hingezogen fühlte. Doch in wenigen Tagen würde sie fort sein, und das war sicher auch gut so.
»Woran denken Sie?« fragte sie. Garrett schaltete in einen höheren Gang, während sie über die Brücke nach Wilmington zurückfuhren. Los, dachte er bei sich, sag ihr, was dir wirklich durch den Kopf geht.
»Ich dachte«, sagte er schließlich zu seiner eigenen Überraschung, »daß ich Sie gerne zu mir zum Abendessen einladen würde - vorausgesetzt natürlich, Sie haben nichts anderes vor.«
»Ich hatte auf diese Frage gehofft«, lächelte sie.
Er war noch immer erstaunt über seinen eigenen Mut, als er in die Straße zu seinem Laden einbog.
»Können Sie gegen acht bei mir sein? Ich habe noch einiges im Laden zu tun, aber bis dahin
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