Weit wie das Meer
es derzeit einen Mann in Ihrem Leben?«
Sie nahm die Muschel entgegen. »Nein.«
Kleine Wellen umspielten ihre Füße, während sie im seichten Wasser standen. Obwohl er mit der Antwort gerechnet hatte, konnte er nicht verstehen, warum jemand wie sie den Großteil ihrer Abende allein verbrachte.
»Und warum nicht? Einer Frau wie Ihnen müßten die Männer doch zu Füßen liegen.«
»Danke für das Kompliment«, sagte sie lächelnd, während sie ihren Weg fortsetzten. »Aber das ist gar nicht so leicht, vor allem mit einem Kind. Es gibt viele Dinge zu bedenken, wenn ich jemanden kennenlerne.« Sie hielt inne. »Und was ist mit Ihnen? Gibt es in Ihrem Leben zur Zeit eine Frau?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Dann ist es jetzt an mir zu fragen: ›Warum?‹«
Garrett zuckte die Achseln. »Wohl, weil ich keiner begegnet bin, die ich ständig um mich haben möchte.«
»Ist das alles?«
Es war der Augenblick der Wahrheit, und Garrett wußte es. Eigentlich hätte er ihre Frage nur bejahen müssen, und das Thema wäre abgeschlossen gewesen, doch er zögerte.
Je weiter sie sich vom Hafen entfernten, desto weniger Menschen sahen sie am Strand, und das einzige Geräusch, das sie jetzt hörten, kam von der Brandung. Einige Seeschwalben flogen auf, als sie näherkamen. Das Sonnenlicht, das vom Sand reflektiert wurde, war so grell, daß sie mit den Augen blinzeln mußten. Garrett sah Theresa nicht an, als er jetzt zu sprechen begann, und sie kam etwas näher, um ihn durch das Tosen des Meers verstehen zu können.
»Nein, das ist nicht alles. Es ist mehr eine Ausrede. Um ehrlich zu sein, habe ich mich gar nicht bemüht, eine Frau kennenzulernen.«
Theresa beobachtete ihn von der Seite. Er blickte starr nach vorn, wie um seine Gedanken zu sammeln, doch sie spürte seinen Widerwillen, als er fortfuhr.
»Es gibt etwas, das ich Ihnen gestern abend verschwiegen habe.«
Sie spürte, wie sich ihr die Kehle zusammenschnürte, denn sie wußte genau, was kommen würde. Um eine unbefangene Miene bemüht, sagte sie nur:
»So?«
»Ich war verheiratet«, fuhr er schließlich fort. »Sechs Jahre.« Er wandte ihr jetzt das Gesicht zu, und der Ausdruck in seinen Augen ließ sie zusammenzucken. »Aber sie ist gestorben.«
»Das tut mir leid.«
Wieder blieb er stehen, um eine Muschel aufzuheben, aber diesmal reichte er sie ihr nicht, sondern warf sie, nachdem er sie begutachtet hatte, ins Meer zurück. Theresa sah sie im Wasser versinken.
»Das war vor drei Jahren. Seither habe ich mich um keine Frau mehr bemüht, nicht einmal einer nachgeschaut.«
»Sie müssen manchmal sehr einsam sein.«
»Das bin ich, aber ich versuche, nicht darüber nachzudenken. Ich bin sehr beschäftigt, wissen Sie - im Laden und mit meinen Tauchkursen -, das lenkt mich ab. Und ehe ich mich versehe, ist es Zeit zum Schlafen, und das Ganze fängt am nächsten Tag von vorne an.«
Als er zu Ende gesprochen hatte, sah er sie mit einem schwachen Lächeln an. Jetzt war es ausgesprochen. Er hatte es seit Jahren einem anderen Menschen außer seinem Vater sagen wollen, und jetzt hatte er es einer Frau aus Boston erzählt, die er kaum kannte. Einer Frau, der es gelungen war, Türen zu öffnen, die er selbst verriegelt hatte…
Sie sagte nichts, doch als er weiter schwieg, fragte sie schließlich:
»Und wie war sie?«
»Catherine?« Garretts Kehle war ganz trocken. »Wollen Sie das wirklich wissen?«
»Ja, das möchte ich«, antwortete sie mit sanfter Stimme. Er warf eine weitere Muschel in die Brandung und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Wie sollte er Catherine mit Worten beschreiben? Ohne daß er es wollte, zog ihn die Vergangenheit wieder einmal in ihren Bann…
»Hallo, Liebster«, sagte Catherine und blickte von ihrer Gartenarbeit auf. »Ich hatte gar nicht so früh mit dir gerechnet. «
»Es gab heute morgen nicht viel zu tun, und da dachte ich mir, ich schau schnell vorbei, um zu sehen, wie es dir geht.«
»Ach, es geht schon viel besser.«
»Glaubst du, es war eine Grippe?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht habe ich nur etwas Falsches gegessen. Kurz nachdem du gegangen bist, habe ich mich wieder stark genug gefühlt, um etwas im Garten zu arbeiten.«
»Das sehe ich.«
»Gefallen dir die Blumen?« Sie deutete auf ein frisch angelegtes Beet mit Stiefmütterchen.
Er lächelte. »Sehr schön, aber hättest du nicht etwas Erde im Beet lassen sollen?«
Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und blinzelte zu ihm hinauf ins
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