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Weiter weg

Weiter weg

Titel: Weiter weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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recht nach dem Ausbau der Mobilfunknetze, zwang sie die Forstpolizei, gegen die Wilderer vorzugehen, und ihr wachsender Ruhm brachte ihr die Aufmerksamkeit der Medien und zahllose freiwillige Helfer. In den vergangenen Jahren lag die Zahl der von den Mitarbeitern berichteten Schüsse im einstelligen Bereich.
    «Anfangs», sagte Anna Giordano, als ich neben ihr auf einem Hügel stand und vorbeifliegenden Falken nachsah, «haben wir es bei unseren Greifvogelzählungen nicht einmal gewagt, Ferngläser zu benutzen, denn wenn die Wilderer bemerkten, dass wir irgendwohin sahen, fingen sie gleich an zu schießen. In unseren Aufzeichnungen aus jener Zeit steht oft ‹nicht identifizierte Greifvögel›. Und jetzt können wir hier den ganzen Nachmittag stehen und die Zeichnungen einjähriger Weihenweibchen studieren und hören dabei keinen einzigen Schuss. Vor ein paar Jahren kam einer der schlimmsten Wilderer, ein gewalttätiger, dummer, vulgärer Kerl, der uns immer und überall Ärger gemacht hat, und fragte, ob er mit mir reden könne. Ich sagte: ‹Oho, interessant! Also gut.› Er fragte mich, ob ich mich erinnern könne, was ich vor fünfundzwanzig Jahren zu ihm gesagt hätte. Ich sagte, ich könne mich kaum an das erinnern, was ich gestern gesagt hätte. Er sagte: ‹Sie haben gesagt, eines Tages würde ich die Vögel nicht mehr töten, sondern lieben. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie recht gehabt haben. Wenn ich früher mit meinem Sohn rausgegangen bin, hab ich ihn gefragt: Hast du dein Gewehr dabei? Heute frage ich ihn: Hast du dein Fernglas dabei?› Da habe ich ihm – einem Wilderer! – mein Fernglas gegeben, damit er einen Wespenbussard betrachten konnte, der über uns dahinflog.»
    Anna Giordano ist klein, dunkelhaarig und energisch. In letzter Zeit hat sie die Provinzregierung angegriffen, weil diese es versäumt, die Baulanderschließung rings um Messina zu regulieren, und außerdem – als wollte sie unbedingt immer zu viel zu tun haben – hilft sie in einem Heim für Wildtiere aus. Ich hatte bereits einmal ein Tierheim besucht, das auf dem Grundstück einer psychiatrischen Klinik in Neapel stand, und dort die Röntgenaufnahme eines mit Bleikugeln gespickten Falken gesehen, mehrere genesende Greifvögel in großen Käfigen sowie eine Möwe, deren linker Fuß durch Säure schwarz verätzt war. In Giordanos Tierheim auf einem Hügel bei Messina sah ich, wie sie rohes Putenfleisch an einen kleinen Adler verfütterte, der durch Schrotkugeln sein Augenlicht verloren hatte. Sie packte seine Klauen mit einer Hand und drückte ihn an ihren Bauch. Seine Schwanzfedern waren zerrupft, die Augen blickten streng und doch leer, und er ließ es zu, dass sie ihm den Schnabel öffnete und Fleisch hineinstopfte, bis sein Schlund überquoll. Der Vogel war ganz Adler und doch kein Adler mehr. Ich wusste nicht, was er war.

    Wie die meisten zypriotischen Restaurants, die Ambelopoulia servieren, verfügte das, in dem ich mich mit einem Bekannten und dessen Freund traf (ich nenne die beiden Takis und Demetrios), über ein Nebenzimmer, in dem die kleinen Vögel diskret verzehrt werden konnten. Wir gingen durch den Gastraum, in dem aus dem Fernseher eine jener in Zypern so beliebten brasilianischen Telenovelas dröhnte, und nahmen Platz zu einem Mahl aus zypriotischen Spezialitäten: Es gab geräucherten Schinken, gegrillten Käse, eingelegte Kapernzweige, wilden Spargel, Pilze mit Eiern, weingetränkte Wurst und Couscous. Der Wirt brachte uns auch einen Teller mit drei gebratenen Singdrosseln, die wir nicht bestellt hatten, und blieb neben dem Tisch stehen, als wollte er sich vergewissern, dass ich meine auch wirklich aß. Ich dachte daran, dass Franz von Assisi einmal im Jahr, zu Weihnachten, seine Tierliebe zurückgestellt und Fleisch gegessen hatte. Ich dachte an einen Jungen namens Woody, der mir bei einer Wanderung, die wir als Teenager unternommen hatten, ein Stück gebratenes Rotkehlchen angeboten hatte. Ich dachte an einen prominenten italienischen Umweltschützer, der gesagt hatte, Singdrosseln seien «verdammt lecker». Der Umweltschützer hatte recht. Das Fleisch war dunkel und schmeckte sehr würzig, und der ganze Vogel war so viel größer als eine Ambelopoulia, dass ich ihn für ein normales Gericht und mich für einen normalen Restaurantgast halten konnte.
    Als der Wirt gegangen war, fragte ich Takis und Demetrios, was das für Leute seien, die gern Ambelopoulia äßen.
    «Das sind Leute», sagte Demetrios,

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