Weiter weg
Initiative zur Liberalisierung der Jagdgesetze steht nach Ansicht der ambientalisti vor allem Italiens große Waffen- und Munitionsindustrie. Einer sagte: «Wenn dich jemand fragt, was du eigentlich herstellst, sagst du dann: ‹Landminen, die bosnischen Kindern die Beine abreißen›, oder sagst du: ‹Handwerklich hochwertige Schrotflinten für Leute, die gern bei Morgengrauen in den Marschen auf die Enten warten›?»
Niemand weiß, wie viele Vögel in Italien vom Himmel geholt werden. Die Zahl der jährlich abgeschossenen Singdrosseln beispielsweise wird mit drei bis sieben Millionen angegeben, aber Fernando Spina, führender Wissenschaftler bei der italienischen Umweltschutzbehörde, hält diese Schätzungen für «äußerst konservativ»: Nur die gewissenhaftesten Jäger tragen ihre Beute korrekt auf der Jagdkarte ein, die örtlichen Forstbehörden haben nicht genug Leute, um die Jäger zu kontrollieren, die Datenbestände der Provinzen sind noch kaum digital erfasst, und die meisten ländlichen Jagdgenossenschaften ignorieren sämtliche Anfragen und Bitten um eine Übermittlung von Daten. Unbestritten ist, dass Italien ein höchst bedeutendes Durchzugsland ist. Man hat dort beringte Vögel aus allen anderen europäischen sowie achtunddreißig afrikanischen und sechs asiatischen Ländern gefunden. Und in Italien beginnt die Rückwanderung nach Norden bereits sehr früh, bei einigen Arten schon Ende Dezember. Die Vogelschutzrichtlinie der EU schützt alle Vögel, die sich auf der Rückwanderung befinden, und erlaubt die Jagd nur im Rahmen der natürlichen herbstlichen Sterblichkeitsrate. Daher sind die meisten verantwortungsbewussten Jäger der Ansicht, die Jagdzeit solle am 31. Dezember enden. Italiens neues Gesetz geht in die entgegengesetzte Richtung und verlängert die Jagdsaison bis in den Februar hinein. Da die Vögel, die am frühesten zurückkehren, gewöhnlich die stärksten ihrer Art sind, gibt das neue Gesetz ausgerechnet die zum Abschuss frei, die eigentlich die besten Aussichten hätten, eine Brut großzuziehen. Eine verlängerte Jagdzeit begünstigt auch die Wilderer, die es auf geschützte Arten abgesehen haben, denn ein unerlaubter Schuss klingt nicht anders als ein erlaubter. Und ohne gesicherte Daten kann niemand sagen, ob die regional festgelegten Abschusszahlen für eine Art die jeweilige natürliche Sterblichkeitsrate übersteigen. «Die Abschusspläne werden von den örtlichen Behörden erstellt und sind vollkommen willkürlich», sagte Spina. «Sie stehen in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Beständen.»
Zwar ist der Verlust von Lebensräumen der gravierendste Grund für den Kollaps der europäischen Vogelpopulationen, aber die italienische Art der Jagd ( caccia selvaggia , «die wilde Jagd», wie sie euphemistisch genannt wird) vergrößert den Schaden erheblich. Als ich Fulco Pratesi, einen ehemaligen Großwildjäger, der die italienische Sektion des World Wildlife Fund gegründet hat und das Jagen inzwischen als «Manie» bezeichnet, fragte, warum italienische Jäger so versessen darauf seien, Vögel zu töten, sprach er von der Liebe seiner Landsleute zu Waffen, von ihrem Festhalten an einer «männlichen Haltung», von ihrem Vergnügen daran, Gesetze zu brechen, und seltsamerweise auch von ihrer Liebe zur Natur. «Ein italienischer Jäger ist wie ein Vergewaltiger, der Frauen liebt, aber seine Liebe nur auf perverse, gewalttätige Weise ausdrücken kann. Vögel, die bloß zweiundzwanzig Gramm wiegen, werden mit Schrotladungen von zweiunddreißig Gramm geschossen.» Italiener, fuhr er fort, könnten sich leicht für «symbolische» Tiere wie Wolf oder Bär begeistern, und tatsächlich würden diese Arten hier effektiver geschützt als in anderen europäischen Ländern. «Aber Vögel sind unsichtbar», sagte er. «Wir sehen sie nicht, wir hören sie nicht. Im Norden kann man die Ankunft der Zugvögel sehen und hören, und das beglückt die Menschen. Hier aber leben die Leute in Städten, in großen Wohnanlagen, und die Vögel fliegen buchstäblich über sie hinweg.»
Fast immer in seiner Geschichte wurde Italien im Frühling und im Herbst zur Zwischenstation für zahllose fliegende Eiweißpäckchen, und im Gegensatz zu Nordeuropa, wo man den Zusammenhang zwischen Überjagung und verminderten Erträgen recht bald erkannte, schienen die Bestände in den Mittelmeerländern unerschöpflich. Noch erbittert wegen des Verbots der Jagd auf Wespenbussarde, sagte ein Wilderer aus
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