Weiter weg
Diebstahls. Auch eine Walross-Schlägerhaube war dabei, gefertigt aus dem dichten braunen Fell des echten Tiers. «Das sollte noch auf dem Tier sein, zu dem es gehört», sagte Jane streng. «Der Kerl, der das gemacht hat, wird vom Karma ereilt, aber erst kriegt ihn unser Anwalt zu fassen.»
Auf meine Frage, ob ich mich vielleicht sogar mit ihren Lieferanten in China treffen könne, antwortete Jane vage. In jedem Fall müsse ich wissen, dass die Arbeiter der chinesischen Lieferanten im Durchschnitt das Doppelte oder fast das Doppelte des örtlichen Mindestlohns verdienten. «Perfektion lassen wir uns etwas kosten», sagte sie, «und wir wollen dort ein gutes Karma – wir wollen glückliche Arbeiterinnen in einer glücklichen Fabrik.» Sie und Steve machten noch ein paar Entwürfe, aber mittlerweile überließen sie ihren chinesischen Partnern immer mehr. Steve maile von Phoenix aus eine Zeichnung, und eine Woche später hielten sie den Plüschprototypen in der Hand. Wenn er nach China reise, könne das Team dort noch vor dem Mittagessen einen Prototypen und am Ende des Arbeitstages einen überarbeiteten Prototypen herstellen. Die Sprache sei meistens kein Problem, allerdings habe Steve einmal Schwierigkeiten gehabt, dem chinesischen Team die «Seepocken» eines Grauwals zu erklären, und einmal sei ein Angestellter mit einer merkwürdigen Frage zu ihm gekommen: «Warum möchten Sie, dass alle Tiere zornig aussehen?» Steve antwortete, nein, im Gegenteil, er und Jane wollten, dass die Tiere glücklich aussähen und die Leute, die sie anfassten, glücklich würden. Das Wort, das jemand mit zornig falsch übersetzt hatte, war realistisch .
«Erst die Arbeit, dann das Vergnügen», ermahnte mich David Xu fröhlich an meinem ersten offiziellen Tag in China. Xu war vom Amt für Auswärtige Angelegenheiten in der boomenden Stadt Ningbo, rund zweihundert Kilometer südlich von Shanghai, und unsere «Arbeit» bestand darin, in einem Miet-Van von einer Fabrik zur nächsten zu rasen. Von der Rückbank aus hatte ich den Eindruck, dass jeder Zentimeter des Großraums Ningbo sich simultan im Bau oder Wiederaufbau befand. Mein extrem neues Hotel war im Hinterhof eines lediglich sehr neuen, nur wenige Meter entfernten Hotels errichtet worden. Die Straßen waren modern, aber sehr löcherig, als wäre allen klar, dass sie ohnehin bald wieder aufgerissen würden. Die Landschaft gärte von Neuerungen; in manchen Dörfern war kaum ein Haus zu finden, vor dem kein Sandhaufen oder Backsteingebinde lag. Auf Ackerland sprossen Fabriken, und vor den weniger neuen Fabriken stiegen die eingerüsteten Stützsäulen künftiger Überführungen empor. Die Wachstumsrate, die Ningbo in den letzten Jahren hatte – rund vierzehn Prozent –, erschöpfte einen schnell, allein vom Hinsehen.
Wie um mich mit frischer Energie zu versorgen, drehte Xu sich auf dem Vordersitz um und betonte mit einem breiten Lächeln: «China ist Entwicklungs land.» Xu hatte schöne Zähne. Er hatte die modisch eckige Brille und den gewinnenden Eifer eines Literaturprofessors mit befristeter Stelle, und er war reizend und offen für jedes nur denkbare Thema – den Mangel selbst rudimentärer Fahrkenntnisse unseres Fahrers, die lange und wechselvolle Geschichte der Homosexualität in China, die unheimliche Plötzlichkeit, mit der alte Viertel in Ningbo geschleift und ersetzt wurden, selbst die Dummheit der Drei-Schluchten-Talsperre am Jangtse. Xu enthielt sich sogar freundlicherweise der Frage, was ich zwischen meiner Ankunft in Shanghai vor sieben Tagen und meinem offiziellen Eintreffen in Ningbo am vorigen Nachmittag getan hätte. Um diese Freundlichkeit zu erwidern, bemühte ich mich, gesteigertes Interesse selbst an den ganz offensichtlich unrepräsentativen Fabriken zu zeigen, zu denen er mich brachte, wie etwa der des Automobilherstellers Geely, eines stolzen Pioniers grüner Produktionsmethoden wie «Wasser-Schmelz»-Lackierung («‹Grün› bedeutet umweltfreundlich», sagte Xu), und des Spritzgießmaschinenherstellers Haitian, wo die Arbeiter durchschnittlich neuntausend Dollar jährlich mit nach Hause nähmen (Xu: «Das ist das Doppelte von dem, was ich verdiene!») und viele mit dem eigenen Wagen pendelten.
Das Vergnügen nach der Arbeit, das Xu mir versprochen hatte, bestand in einer VIP-Fahrt über die fast fertiggestellte Brücke über die Hangzhou-Bucht – mit sechsunddreißig Kilometern die längste Meeresbrücke der Welt. Doch bevor wir sie
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