Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
wirkte sehr vornehm. Sie hatte dreimal Besteck und eine hübsche Schale aus Sterlingsilber aus Sir Malcolms Haus. Es war erstaunlich, wie viel Eindruck man mit so geringem Aufwand machen konnte.
Rose wurde gegen ihren Willen vom Stuhl gezogen, und ihre Mutter legte ihr ihren besten Schal um die Schultern. » Vielleicht möchte Mr Gordon gar keinen Abendspaziergang machen, Mama«, sagte sie verärgert. Einen Mann eroberte man doch nicht, indem man so drauflos ging. Außerdem kannte sie ihn kaum und hatte sich noch keine Meinung über seinen Charakter gebildet. Er war zweifellos ehrgeizig und klug, was sie bewunderte. Und er verlangte Respekt. Es war nicht nur ein einziger Aspekt seiner Person, sondern eher die Kombination. Er war groß und breitschultrig, gut gekleidet und angenehm anzusehen. Was seine Bildung anging, so konnte Rose nur vermuten, dass sie umfassend war, obwohl er bisher nur wenig von seinem früheren Leben preisgegeben hatte. Das war allerdings verständlich, wenn man bedachte, dass er seinen gesamten schottischen Besitz bei einem großen Feuer verloren hatte. Die Aura von Traurigkeit, die ihn umgab, fand sie am attraktivsten an ihm.
» Unsinn, es ist ein schöner, klarer Abend, nicht wahr, Mr Gordon?«
» Und Sie, Mrs Sutton, wollen Sie sich uns nicht anschließen?«, fragte Hamish.
» Nein, Abendspaziergänge sind etwas für junge Leute, nicht für respektable Matronen, Mr Gordon.«
Lorna schob die beiden rasch nach draußen und spähte ihnen durch die verblichenen geblümten Vorhänge im Wohnzimmer nach. Am vorderen Tor bot ihr Hausgast Rose verlegen den Arm, den ihre Tochter mit geringer Begeisterung ergriff. » Lächle, Mädchen, lächle«, murmelte Lorna leise. Dann huschte sie wieder in die Küche und genehmigte sich einen kleinen Brandy. Sie musste ihren Abend in der Gesellschaft Matthew Reynolds’ verbringen, eine ernüchternde Aussicht, die nur dadurch erträglich wurde, dass sie endlich das neue Kleid bezahlen konnte, das sie sich kürzlich bestellt hatte. Und, dachte Lorna, während sie sich noch einen Brandy einschenkte, das Geld ermöglichte ihr auch einen leckeren Braten für das morgige Abendessen mit ihrem zukünftigen Schwiegersohn.
» Als Gouvernante verbringen Sie doch sicherlich die meiste Zeit mit Kindern?«, sagte Hamish und lüpfte den Hut vor einem Paar, das ihnen entgegenkam. Seine Erfahrung mit Frauen war beschränkt, aber ein Mädchen dieses Charakters, dessen Mutter eine achtbare Pension leitete, war doch sicherlich ein seltener Fund. Er musterte ihr Profil. Rose hatte fein geschnittene, gut proportionierte Züge. Sie war ganz anders als die verführerische Mary; schlank, gebildet und hübsch. Sie war blond und hatte ein ovales Gesicht. Ihre Bewegungen waren anmutig, sie dachte nach, bevor sie etwas sagte, und sie konnte Recht von Unrecht unterscheiden. Das glaubte er zumindest. Aber sie war auch zart und zerbrechlich: eine Eigenschaft, die bei Frauen aus den Highlands unerwünscht war.
» Keineswegs, Mr Gordon. Ich verbringe auch viel Zeit mit Sir Malcolm. Seine Frau ist tot, wissen Sie, und die drei Kinder, die von den neun, die sie ihm geboren hat, noch am Leben sind, sind alle auf den Familienbesitz nach England zurückgekehrt.«
» Ich verstehe.« Hamish betrachtete die Brust des Mädchens, wobei er der großen goldenen Brosche mit dem grünen Stein besondere Aufmerksamkeit schenkte.
» Ich fürchte jedoch, ich werde noch in diesem Jahr meine Stelle verlieren. Ein äußerst unglückseliges Ereignis.«
» Ja, sehr.« Hamish änderte abrupt die Richtung und lenkte das Mädchen zur Pension zurück.
» Und darf ich nach Ihren Plänen fragen, Mr Gordon? Es heißt, Sie wollen Land kaufen. Wird es hier in Ridge Gully sein?«
» Ja, oder vielleicht auch weiter im Norden.«
» Dann warten also auch sie darauf, dass die Siedler enteignet werden und ihr Land neu verteilt wird. Das geschieht vielleicht schneller, als Sie denken, obwohl Sir Malcolm glaubt, dass es dann Krieg gibt.«
Hamish öffnete die Tür zur Pension. Sehnsüchtig blickte er auf die feuchten Lippen des jungen Mädchens. Er bedauerte es sehr, dass es schon so spät war und die Mutter drinnen wartete.
» Ihr Schweigen sagt mir, dass Sie mich zu direkt finden. Was Sir Malcolm äußert, wird außerhalb seines Heims vielleicht nicht so leicht akzeptiert.«
» Sie müssen mir verzeihen. Ich bin nicht an die Gesellschaft von Frauen gewöhnt.« Hamish trat einen Schritt beiseite, um Rose eintreten zu
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