Weites wildes Land
Zivilisation aufrecht. Nicht nur für die Männer, sondern auch für die Kinder. Jemand muß ihnen Bildung vermitteln.« »Doch wenn sie dann nicht über Maudies Fähigkeiten verfügen, werden sie so hilflos sein, wie ich es bin. Allein würde ich mich nicht weiter als bis zum Tor vorwagen, und man hat mich oft genug davor gewarnt.« »Ja, dagegen müssen wir etwas unternehmen«, grinste Charlotte. »Was allerdings den Rest angeht, ist das Leben die beste Schule. Wie heißt es immer? Die Notwendigkeit ist die Mutter der…?« »Erfindung.« »Genau, das ist es. Kommen Sie, wir reiten besser zurück.« Einige Tage später entdeckte Sibell eine neue Eintragung im Journal der Farm: Die Rotfuchsstute Merry gehörte Sibell Delahunty. Außerdem wurde noch ein Zuchtbuch geführt, und als Sibell Merrys Namen darin nachschlug, stellte sie fest, daß sie zwei Jahre alt war. Ihre Mutter hieß Ladybird, ihr Vater Stonenhenge. Das erinnerte Sibell an den Steinkreis. Was für ein einsamer Ort. Sie fragte sich, wie viele schwarze Stämme sich dort im Laufe der Jahrhunderte versammelt hatten. Worüber hatten sie wohl gesprochen? Warum war der Versammlungsort wohl aufgegeben worden? Erfreut stellte sie fest, daß ihr Gehalt, wie bei allen anderen auch, wöchentlich beiseite gelegt wurde, so daß sie es abheben konnte, wann immer sie wollte. Glücklich sah sie zu, wie ihr Konto wuchs. Nun hatte sie eine angemessene Stellung und verdiente gutes Geld. Sie wäre sehr zufrieden mit ihrer Lage gewesen, wäre es ihr nur gelungen, sich von diesen schrecklichen Anflügen von Niedergeschlagenheit zu befreien. Besonders beunruhigte sie Charlottes Gewißheit, daß sie irgendwann heiraten und sich im Territory niederlassen würde. Denn das erinnerte sie an das Gerede, daß sie als Braut für Zack vorgesehen gewesen sei. Deswegen gab sie sich noch größere Mühe, ihm aus dem Weg zu gehen. Nicht etwa, daß sie viel von ihm gesehen hätte, und wenn doch, waren sie fast nie allein. Er behandelte sie so, wie er auch mit Maudie umging, wie ein großer Bruder, für gewöhnlich freundlich, wenn auch unnahbar – obwohl er zuweilen auch recht brummig sein konnte. »Ich kann meine Socken nicht finden«, beschwerte er sich eines Tages bei Sibell. »Ein Haus voller Frauen, und ein Mann muß trotzdem seine Socken suchen!« Der ungezwungene Umgangston hatte dazu geführt, daß auch Sibell ihre Scheu verloren hatte, und ihr altes Selbst war wieder zum Vorschein gekommen. »Dann müssen Sie eben ohne herumlaufen«, gab sie zurück und machte keine Anstalten, ihm bei der Suche zu helfen. »Sieht fast so aus«, sagte er bedrückt. Schließlich ließ sie sich erweichen und fand ein Paar für ihn in der Waschküche. Doch als sie zurückkam, lachte er sie aus. »Jetzt habe ich Sie doch herumgekriegt.« Meistens allerdings stapfte er einfach nur durchs Haus und kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten. Sibell mochte ihn – jeder mochte Zack –, aber es war offensichtlich, daß er hier die Befehle gab. Er hatte eine Stimme wie Donnerhall, und wenn die Dinge nicht nach seinen Wünschen verliefen, konnten alle im Haus hören, wie er seine Männer ins Gebet nahm. Es war nicht Zack, der ihr Unbehagen verursachte, sondern Cliff. Wenn niemand zugegen war, benahm er sich viel zu vertraulich. Ständig schien er sie anzustarren. Oft zwinkerte er ihr zu, als ob sie ein Geheimnis miteinander teilten, und wenn die Familie abends draußen im Dunkeln saß – ohne Laternen, um keine Insekten anzulocken –, drängte er sich immer ganz nah an ihr vorbei. Wie zufällig berührte er sie dabei an der Schulter oder am Knie. Abgesehen davon, daß Sibell diese Aufmerksamkeiten unangenehm waren, befürchtete sie, Maudie könne es bemerken. Der Himmel behüte! Der letzte Mensch, den sie gegen sich aufbringen wollte, war Maudie Hamilton! Sibell spielte mit dem Gedanken, Cliff darauf anzusprechen und ihn zu bitten, sein Benehmen ihr gegenüber zu ändern. Aber vielleicht bildete sie sich seine Avancen ja auch nur ein. Alles in allem fand sie auf Black Wattle allmählich ihre Ruhe wieder, wenn sie auch nicht überglücklich war. Mit der Zeit kehrte ihr Selbstbewußtsein zurück. Immer noch hatte sie Alpträume, doch sie kamen nun seltener, und allmählich glaubte sie, sie würden irgendwann verschwinden. Da sich ihr Schicksal gewendet hatte, gab es für sie auch keinen Grund mehr, sich weiter Sorgen zu machen. Allerdings konnte ihre neu gefundene Ruhe, wie sie sich selbst sagte, nicht
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