Weites wildes Land
von Dauer sein. Sie war ein richtiggehender Pechvogel, und irgend etwas geschah immer. Und diesmal kam es sehr plötzlich. Ein Reiter brachte Taschen voller Post auf die Farm, was auf Black Wattle immer ein großes Ereignis war. Sibell half Charlotte, die Briefe, Zeitschriften und Zeitungen zu ordnen, und zu Charlottes Freude waren auch die Bestellkataloge endlich angekommen. Sibell stapelte die Zeitungen und Briefe für die Männer und brachte sie zum Kochhaus hinüber, wo sie sie Harry, dem Koch für die Angestellten, übergab, damit dieser sie verteilte. Da sie es nicht eilig hatte, blieb sie ein wenig stehen, plauderte mit Harry und sah zu, wie er riesige Teigklumpen knetete, die wahrscheinlich für Brot oder Fladenbrot gedacht waren. Darm kehrte sie ins Büro zurück. Charlotte hatte ihre Post geöffnet und las gerade einen Brief, weshalb Sibell sie nicht stören wollte. Also sah sie einen Stapel Zeitungen durch, die alle schon viele Wochen alt waren, und stellte erfreut fest, daß sie sich in der richtigen zeitlichen Reihenfolge befanden. Hier scherte sich niemand darum, daß die Zeitungen nicht mehr auf dem neuesten Stand waren, doch zumindest mußten die Neuigkeiten in der richtigen Reihenfolge gelesen werden. Da hörte Sibell, wie Charlotte aufstöhnte, und als sie sich umdrehte, um herauszufinden, was sie wohl gelesen haben mochte, stöhnte die alte Frau wieder und griff sich an die Brust. »Was haben Sie?« Beinahe hätte Sibell einen Angstschrei ausgestoßen, als Charlottes Gesicht sich blau verfärbte. Offenbar bekam sie keine Luft mehr. Sibell riß Charlotte die Brille von der Nase und knöpfte den Kragen ihres Kleides auf. »Was ist mit Ihnen?« rief sie. »Charlotte, was haben Sie?« Doch Charlotte glitt vom Stuhl und keuchte vor Schmerzen, und Sibell konnte nichts tun, als sie zu halten. »Netta!« rief sie. »Netta!« Und Netta kam herbeigelaufen. Sie warf sich neben Charlotte auf den Teppich. Charlotte umklammerte Sibells Hand, als wollte sie sich gegen die Schmerzen wappnen. Sie rang nach Luft. Netta weinte. »Was hat die Missus?« »Ich weiß es nicht«, rief Sibell. »Sie hat irgendeinen Anfall.« Und dann kam Sam Lim hereingestürmt, der den Aufruhr gehört hatte. Er schob Netta beiseite und knöpfte Charlotte das Kleid auf. »Sie braucht Luft«, zischte er und drückte ihr auf die Brust. »Geh, hol den Boß!«, befahl er Netta, die sofort loslief. Vor Angst traten Charlotte die Augen aus den Höhlen, als Sibell ihr ein Kissen unterschob. »Ganz ruhig«, flüsterte sie. »Sie können atmen. Sie können es. Nur ganz langsam.« Sibell hoffte, daß sie es konnte, sie betete darum. Sie fühlte sich so hilflos, als Charlotte so reglos vor ihr lag. Der Speichel tropfte der alten Frau aus dem Mund. Casey traf als erster ein. Entsetzt stürmte er ins Büro. Gemeinsam mit Sam Lim hob er Charlotte auf ein Sofa im Wohnzimmer. »Holen Sie eine Schere!« rief er Sibell zu, die vor lauter Schrecken wie angewurzelt dastand. »Wozu?« fragte sie. »Holen Sie sie!« wiederholte er, und sie rannte los. Er schnitt Charlotte das Mieder auf. Sibell war schockiert, daß er als Mann sich solche Freiheiten herausnahm. Doch dann bemerkte sie, wie geschickt er Charlottes Korsett aufschlitzte. »Verdammte Dinger!« murmelte er. »Ich begreife nicht, warum Frauen dieses Zeug anziehen müssen! Jetzt bekommt sie besser Luft.« Sibell holte eine Decke, und Casey wickelte Charlotte darin ein. »Na also«, sagte er zu ihr. »Ruhen Sie sich aus. Das Schlimmste ist jetzt vorbei; alles wird wieder gut. Bleiben Sie nur liegen, und die Missy wird sich um Sie kümmern.« Leise ging er aus dem Zimmer. Sibell, der immer noch die Knie zitterten, ließ sich neben Charlotte nieder und strich ihr das Haar aus der Stirn. Dann nahm sie das feuchte Tuch, das Sam Lim ihr reichte, und kühlte Charlotte die Stirn. Sie war erleichtert, Sam Lim bei sich zu haben, denn sie hatte Angst vor einem neuen Anfall. Endlich kamen die anderen nach Hause. Besorgt standen sie herum. Casey hatte zwei Reiter losgeschickt, um Doktor Brody ausfindig zu machen, doch in der Zwischenzeit konnte er Zack nur raten, es Charlotte so bequem wie möglich zu machen. Da Sibell nicht im Krankenzimmer stören wollte, wo Zack und Cliff bei ihrer Mutter wachten, ging sie ins Büro und versuchte, Charlottes Schreibtisch aufzuräumen. Sie hatte den Verdacht, daß etwas in dem Brief den Anfall – nach Caseys Ansicht eine Herzattacke – hervorgerufen haben könnte. Schließlich
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