Weites wildes Land
sehen Sie, warum ich immer noch Besitzerin der Farm bin«, sagte sie. »Man kann zwei Stiere nicht in einem Pferch halten. Cliff fängt allmählich an, Zacks Autorität in Frage zu stellen. Es ist an der Zeit, daß wir uns nach einer zweiten Farm umsehen.« »Einer zweiten Farm?« fragte Sibell erstaunt. »Die hier ist doch gewiß groß genug für zwei.« »Nicht für zwei, die beide Boß sein wollen. Ich sage Zack, er soll sich umhören.« »Wer von beiden wird in Black Wattle bleiben?« »Das können sie unter sich abmachen.« Es kamen auch noch andere Besucher nach Black Wattle: Viehaufkäufer, Regierungsbeamte und ein Freund von Charlotte, Doktor Brody. Die jüngeren Männer scharten sich stets verlegen um Sibell, die aber immer eine Ausflucht fand, um sich so früh wie möglich zurückzuziehen. Jeden Samstagabend kam der Vorarbeiter, der einfach nur Casey genannt wurde, aus dem Quartier der Farmarbeiter zum Abendessen ins Haus, ganz offensichtlich, um klarzustellen, daß er in der Rangordnung auf der Farm eine gehobene Stellung einnahm. Er war ein starrsinniger Ire, etwa fünfzig Jahre alt. Er kannte den Busch wie seine Westentasche. Doch von den Regeln, die im Haupthaus herrschten, ließ er sich in keiner Weise ins Bockshorn jagen. Nach dem Essen spielte man für gewöhnlich Karten, wobei es ziemlich lautstark zuging und auch Geld den Besitzer wechselte. Die Familie drängte Sibell zum Mitspielen. »Ich kann nicht Karten spielen«, sträubte sie sich zuerst. Doch sie lernte es rasch, und bald machte es ihr Spaß; besonders deswegen, weil sie sich zu einer recht guten Pokerspielerin entwickelte und oft gewann. »Das liegt an ihrem Pokergesicht«, neckte Cliff. »Man weiß nie, was sie gerade denkt.« »Stimmt nicht ganz«, widersprach sie. »Ich muß nur höllisch aufpassen. Ich kenne mich mit Karten nicht aus, denn meine Eltern hielten nichts von Glücksspielen.« »Das würde ich nicht gerade sagen«, meinte Zack gedehnt. »Haben Sie nicht auf ihr Glück gesetzt, als sie hierher gekommen sind?« Später suchte er Sibell, um sich bei ihr zu entschuldigen. »Es tut mir leid«, sagte er. »Diese Bemerkung über Ihre Eltern war taktlos, und ich hoffe, daß Sie mir verzeihen. Ich wollte nur sagen, daß eine Reise ins Unbekannte immer ein Glücksspiel ist, oder so etwas ähnliches…« Seine Stimme verlor sich in einem verlegenen Flüstern. »Ist schon in Ordnung«, meinte sie. Sie war gerührt, weil er sich bei ihr entschuldigt hatte, und sie entdeckte an diesem sonst so hochmütigen Mann eine völlig neue Seite. Aber später grübelte sie über seine Bemerkung nach. Wahrscheinlich war es wirklich ein Glücksspiel gewesen. Und sie hatten verloren. »Doch einer von uns hat überlebt«, flüsterte sie entschlossen. »Einer von uns muß Erfolg haben, sonst war alles vergebens.« In der Ferne heulte ein Dingo, und um zu verhindern, daß sie wieder vom Trübsinn überwältigt wurde, setzte Sibell sich aufs Bett und zählte das gewonnene Geld. Fünfzehn Shilling und sechs Pence. Poker, so befand sie, war ein sehr unterhaltsamer Zeitvertreib.
* * *
Eines Sonntagmorgens saß sie draußen unter den Bäumen und las Wesley und seinen beiden gebannt lauschenden Kindermädchen vor, als Cliff nach ihr rief. »Hey, Sibell! Sie werden vorne verlangt.« Überrascht sah sie ihn an. »Wer will etwas von mir?« »Keine Ahnung«, antwortete er. »Bringen Sie den Kleinen mit.« Also nahm sie Wesley bei der Hand und ging, gefolgt von den Kindermädchen, zum vorderen Tor, wo eine kleine Menschengruppe – Charlotte, Zack und einige der Männer – sich versammelt hatte. »Was ist denn los?« fragte Sibell verblüfft. »Wer will mich sprechen?« Cliff hob Wesley auf und setzte ihn sich auf die Schultern. »Sehen Sie mal dort hinunter.« Sibell wandte sich um und entdeckte Casey, der mit einem schimmernden Rotfuchs mit blonder Mähne am Zügel auf sie zukam. Um den Hals trug das Tier einen glänzenden Kranz aus Akazienblättern. »Was für ein schönes Pferd«, meinte sie. »Es gehört Ihnen«, sagte Charlotte. »Mir?« Sibell war entgeistert. »Ja. Wir haben beschlossen, daß Sie ein eigenes Pferd brauchen. Die Stute heißt Merry.« Sibell stürzte zu dem Pferd hin, um es zu streicheln. Dann warf sie Charlotte die Arme um den Hals. »Vielen Dank! Ich kann es kaum glauben! Sie sind so gut zu mir! Und was für eine wunderschöne Stute, sie ist einfach fabelhaft!« Unter den Augen der Anwesenden mußte sie auf und ab reiten
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