Weites wildes Land
fand sie einen Brief von Charlottes Anwalt in Adelaide, und als sie die ordentlich geschriebenen Seiten las, sank sie auf Charlottes Stuhl. Das Schreiben war einen Monat alt und enthielt schlechte Nachrichten. Die beiden Banken in Melbourne – die Provincial und Suburban Bank und die besser bekannte Australian and European Bank – hatten nach einem Ansturm auf die Börse ihre Pforten geschlossen. Charlottes Börsenmakler, Mr. James Percival, hatte in letztere Bank investiert, und als besorgte Aktionäre Einblick in ihre finanzielle Lage verlangt hatten, war eine weitere Schwierigkeit ans Tageslicht gekommen. Der Anwalt mußte Mrs. Hamilton zu seinem Bedauern mitteilen, daß Mr. Percival zweifelhafte Geschäfte gemacht hatte. Er hatte sogar Aktien gefälscht, um das Geld seiner Kunden zu unterschlagen. Nachdem diese Vorfälle bekannt geworden waren, hatte sich Mr. Percival aus dem Staub gemacht, und bislang war er nicht aufzufinden gewesen. Der Anwalt, der sein Schreiben mit »Ihr gehorsamer Diener, J. Leighton-Waters« unterzeichnet hatte, hatte Mrs. Hamiltons Konten eigenhändig überprüft, und festgestellt, daß ihre Aktien praktisch wertlos waren. Ihr Guthaben von siebentausend Pfund auf der A & E-Bank war verloren. »Oh, mein Gott«, flüsterte Sibell und schob den Brief ganz hinten in eine Schublade. Als Doktor Brady eintraf und bestätigte, daß Charlotte tatsächlich einen schweren Herzanfall erlitten hatte, nahm Sibell ihn beiseite und zeigte ihm das Schreiben. Er setzte die Brille auf, las es langsam und sah Sibell dann mit traurigen Augen an. »Tja…«, sagte er, »…das sind alles Halsabschneider. Sie spielen mit dem Geld anderer Leute herum, und mit dem Schaden, den sie anrichten, müssen sie sich selbst nie befassen. Ach, die arme Charlotte! Ein solcher Brief allein kann schon dazu führen, daß ein Mensch zusammenbricht. Sprechen Sie ja nicht mit ihr über diese Sache, bevor sie nicht selbst davon anfängt. Sie wird einige Zeit brauchen, um den Schock zu überwinden, daß sie bankrott ist.« »Aber sie ist doch nicht wirklich bankrott«, widersprach Sibell. »Sie hat doch noch die Farm.« »In der Tat, und die Jungen leisten ganze Arbeit, aber Black Wattle wurde wie Rom nicht in einem Tag erbaut. Immerhin hat sie für die Farm nicht ihren letzten Groschen hingeblättert. Sie besaß das notwendige Kapital, um es in diese Unternehmung zu stecken.« »Sie hat so viel Geld für das Haus ausgegeben. War das klug von ihr?« »Gut, daß sie es getan hat. Sonst wäre dieses Geld auch noch verloren.« »Wahrscheinlich. Aber sie braucht sich doch keine borgen zu machen. Schließlich kennen Zack und Cliff das Geschäft, und sie werden nicht aufgeben. Das Geld ist dahin, aber die Familie besitzt immer noch ihr Zuhause und kann ihren Lebensunterhalt verdienen.« »Das sagen Sie so leicht«, schnaubte er verärgert. »Wenn man jung ist, kann man so etwas noch verwinden, aber Charlotte hat gerade erleben müssen, wie sich dreißig Jahre harter Arbeit in Rauch aufgelöst haben. Sie hat weder die Zeit noch die Kraft, um wieder von vorne anzufangen.«
* * *
Als Charlotte sich allmählich erholte, war sie nicht gerade eine einfache Patientin. Sie haßte es, hilflos zu sein, und wollte ständig wissen, was um sie herum geschah. »Alles in bester Ordnung«, meinte Zack. »Es klappt wie am Schnürchen, und Sibell kümmert sich ums Büro. Du mußt im Bett bleiben und dich ausruhen.« »Ach, mach doch nicht so ein Theater«, schimpfte sie. »Für mich brauchst du noch keinen Grabstein zu bestellen.« Sie lehnte sich in den Kissen zurück und schloß die Augen. »Ich habe alles verloren, stimmt's?« flüsterte sie. »Was für eine verdammte Närrin war ich, daß ich diesem Schuft vertraut habe.« »Du konntest es nicht wissen«, seufzte er. »Jahrelang hat er gut für dich gearbeitet, doch irgendwann muß er auf die schiefe Bahn geraten sein. So etwas passiert immer wieder.« »Nicht mir«, meinte sie finster. »Was fangen wir jetzt an, Zack?« fragte sie, während ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Werden wir es schaffen?« »Selbstverständlich.« »Ich wünschte, ich könnte das glauben, aber es müssen Rechnungen bezahlt werden, und wir haben kein Bargeld.« »Du weißt, ich würde dich niemals anlügen«, sagte er. »Wir werden wieder auf die Beine kommen. Ich stelle sofort eine Herde zusammen und treibe sie selbst nach Süden, wo die großen Märkte sind. Wenn ich selbst mitreite, sparen wir uns
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