Weizenwampe
Weizenunverträglichkeit mit Immunreaktion (wie Zöliakie oder andere schwere körperliche Reaktionen) können Sie sich unter Umständen nicht auf die Auskünfte der Bedienung verlassen. Jeder Zöliakiepatient kann von Erlebnissen mit »glutenfreien« Gerichten erzählen. Zudem können zwar mittlerweile viele Köche auf den Wunsch nach Glutenfreiheit angemessen reagieren, greifen dann jedoch ersatzweise zu Maisstärke und anderen Stärkeprodukten, die den Blutzucker ebenso steigen lassen. Restaurantbesuche sind daher erfahrungsgemäß immer mit einem gewissen Restrisiko verbunden. Essen Sie lieber das, was Sie oder Ihre Familie selbst zubereitet haben. So wissen Sie stets ganz genau, was Ihre Mahlzeiten enthalten.
Die meisten Menschen schützen sich am besten vor Weizen, indem sie längere Zeit weizenfrei leben. Danach führt ein neuerlicher Kontakt zu den verschiedensten unangenehmen Folgen. Es mag zwar Bedauern auslösen, wenn man den Geburtstagskuchen ablehnt, doch wer für diesen Ausrutscher mit stundenlangen Magenkrämpfen und Durchfällen büßt, ist beim nächsten Mal rigoroser. (Bei Zöliakie oder auffälligen Zöliakiemarkern gibt es keine Ausnahmen in Bezug auf weizen- und andere glutenhaltige Lebensmittel.)
Unsere Gesellschaft hat sich zur »Vollkornwelt« entwickelt. In jedem Imbiss, Restaurant oder Supermarkt locken weizenhaltige Produkte (ganz zu schweigen von den Bäckereien und Cafés). Unterwegs ist es daher mitunter gar nicht so einfach, irgendwo dazwischen etwas Essbares zu entdecken. Am besten betrachten Sie die weizenfreie Ernährung als Grundpfeiler eines langen, gesunden Lebens, genau wie Schlaf, Bewegung und die Würdigung Ihres Hochzeitstags. Ein weizenfreies Leben kann in jeder Hinsicht genauso erfüllt und abenteuerlich sein wie die Alternative – und sicherlich deutlich gesünder.
Epilog
Zweifellos stellt die Kultivierung von Weizen, die vor 10.000 Jahren im fruchtbaren Halbmond begann, einen Wendepunkt der menschlichen Zivilisation dar, der den Grundstein für die Agrarrevolution legte. Der Weizenanbau war der entscheidende Schritt, der die nomadisch lebenden Jäger und Sammler in ortsgebundene, feste Gesellschaften verwandelte, die zu Dörfern und Städten anwuchsen, Nahrungsüberschüsse erzielten und so eine berufliche Spezialisierung ermöglichten. Ohne Weizen sähe unser Leben heute ganz anders aus.
In vielerlei Hinsicht schulden wir dem Weizen somit großen Dank, weil er der Menschheit den Weg in das heutige Technologiezeitalter geebnet hat. Oder etwa nicht?
Der Evolutionsbiologe Jared Diamond lehrt an der Universität Kalifornien in Los Angeles Geographie und Physiologie und ist Verfasser des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Buchs Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften . In seinen Augen war »die Entwicklung der Landwirtschaft, vermutlich unser entschlossenster Schritt zu einem besseren Leben hin, […] in vieler Hinsicht eine Katastrophe, von der wir uns bis heute nicht erholt haben«. 1 Laut Diamond zeigen die Ergebnisse der modernen Paläopathologie, dass die Jäger und Sammler den Wandel in eine landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft mit einer geringeren Körpergröße, einer raschen Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder Beulenpest und einer Klassenstruktur vom Bauern bis zur Königskaste bezahlten, und dass auch die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen sich dabei veränderte.
In seinen Büchern Paleopathology at the Origins of Agriculture sowie Health and the Rise of Civilisation stellt der Anthropologe Mark Nathan Cohen von der State University, New York, die These auf, dass die Landwirtschaft zwar Überschüsse ergab und eine arbeitsteilige Gesellschaft ermöglichte, aber auch mit härterer und längerer Arbeit einherging. Zugleich schrumpfte die Vielfalt der gesammelten Pflanzen auf wenige Feldfrüchte, die sich gut kultivieren ließen. Außerdem verbreiteten sich ganz neue Krankheiten, die zuvor nur selten aufgetreten waren. »Ich glaube, dass die meisten Jäger und Sammler sich nur gezwungenermaßen auf Ackerbau umstellten, und dass sie dabei Qualität zugunsten von Quantität eintauschten«, schreibt Cohen.
Die verbreitete Vorstellung, dass das Leben der Jäger und Sammler bis zur Entwicklung der Landwirtschaft kurz, hart und ein täglicher Kampf ums Überleben war, der ernährungstechnisch in die Sackgasse führte, könnte somit falsch sein. Aus der Sicht der genannten Experten wäre der Umstieg auf die
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