Wellentänze: Roman (German Edition)
sind die Einzige, bei der ich ein gutes Gefühl hatte. Von den anderen war einer gerade als Koch von einer Weltumseglung zurück – furchteinflößend, kann ich Ihnen sagen. Und dann war da noch ein Bewerber, der völlig daneben zu sein schien, ohne Erfahrung auf irgendeinem Gebiet, geschweige denn als Koch.« Suzy musterte Julia mit einem ruhigen Blick. »Onkel Ralph meinte, ich solle mir jemanden suchen, der einen gesunden Menschenverstand hat, ganz egal, was er sonst noch hat oder kann. Außerdem waren alle anderen Bewerber Männer, und ich brauche eine Frau, weil wir uns ein Quartier teilen müssen. Onkel Ralph würde es gar nicht gern sehen, wenn ich von Anfang an mit der Mannschaft rummache.«
»Das kann ich mir vorstellen«, antwortete Julia, die aus dieser Bemerkung entnahm, dass sie unter lauter ungeeigneten Bewerbern immerhin die Beste war. »Und wie heißen die beiden? Ich meine die Boote?«
»Pyramus und Thisbe. Die Namen kommen aus dem Sommernachtstraum. Äußerst passend, da wir so oft nach Stratford-upon-Avon fahren. Also ...« Suzy sah Julia mit einem flehenden Blick an, der sicher schon härtere Herzen als ihres hatte dahinschmelzen lassen. »Sind Sie dabei? Die Arbeit ist schrecklich hart, aber wir würden viel Spaß haben. Und die Kanäle sind so wunderschön. Sie werden sich bestimmt sofort in sie verlieben, genau wie ich.«
Julia dachte, dass es bei ihrem Gegenüber wohl wirklich Liebe sein musste, wenn dieser bunte Vogel aus der gehobenen Gesellschaft all die Bequemlichkeiten aufgab, die sein Vater ihm zur Verfügung stellen konnte. »Ich würde Ihr Angebot wirklich gern annehmen. Es klingt, als wäre es genau das, was ich im Augenblick brauche. Aber sollten Sie nicht vorher besser meine Referenzen und all diese Dinge überprüfen?«
Suzy schüttelte den Kopf. »Onkel Ralph wird Sie kennen lernen, und wenn Sie ihm nicht gefallen, wird er das sagen.« Sie runzelte die Stirn. »Ich fürchte, die Löhne sind unter aller Kritik. Ich hätte wohl von Anfang an damit rausrücken sollen, aber ich wollte Sie nicht von vornherein abschrecken.« Sie nannte eine äußerst magere Summe. »Werden Sie damit auskommen?«
Julia schluckte, dankbar dafür, dass Oscar niemals würde erfahren müssen, wie wenig ihr dieser Job einbrachte. »Ich werde mein Haus vermieten, was meine laufenden Unkosten decken sollte, die Kommunalsteuern und solche Dinge.«
»Dann wäre das also geregelt. Werden Sie denn noch etwas Geld übrig haben?« Suzy stellte ihre Frage mit einer Naivität, die verriet, dass sie selbst sich nie mit so weltlichen Problemen hatte herumschlagen müssen.
»Nein.«
Wenn gesunder Menschenverstand der Grund für ihre Anstellung war, so überlegte Julia, sollte sie jetzt ein wenig davon zeigen. Suzy hatte drei große Gläser Wein getrunken. »Wissen Sie was? Warum kommen sie nicht mit zu mir nach Hause und trinken einen Tee? Sie könnten sogar über Nacht bleiben. Ich glaube nicht, dass Sie jetzt noch fahren sollten.«
Suzy zuckte mit den Schultern. »Daddy wird mir den Wagen sowieso wegnehmen, da spielt es keine Rolle, ob sie mich wegen Trunkenheit am Steuer drankriegen oder nicht.«
»Und ob das eine Rolle spielen wird. Lassen Sie Ihren Wagen hier stehen und kommen Sie mit mir. Ich habe heute Abend nichts Besonderes vor – ich wollte nur ein bisschen packen, weil ich morgen meine Schwester besuchen werde. Sie können Ihren Wagen morgen früh wieder abholen.«
»Ein gemütlicher Frauenabend, wie? Das wird bestimmt lustig.«
Als Suzy, gestützt von Julia, auf ihren Plateausohlen die Straße entlangtrippelte, dachte Julia, dass ein »gemütlicher Frauenabend« für Suzy etwas so Exotisches wie die Kommunalsteuer sein musste. Aber sie verbrachten einige sehr angenehme Stunden vor dem Feuer, aßen Nudeln und tranken den Wein, den zu kaufen Suzy sich nicht hatte nehmen lassen. Am Ende des Abends waren sie sehr gute Freundinnen.
Suzy hatte sich erboten, Julia zu ihrer Schwester zu fahren, und als sie am nächsten Morgen zu Fuß zum Pub zurückgingen, wo Suzys Wagen stand, griff die junge Frau zutraulich nach Julias Arm. »Mir fällt ja so ein Stein vom Herzen, jetzt, wo ich weiß, dass du mit von der Partie bist. Es ist ein tolles Gefühl, eine Erwachsene an der Seite zu haben.«
Julia wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie hatte soeben Oscar und einen sehr gut bezahlten Job aufgegeben, damit sie mal etwas anderes als die vorbildliche Erwachsene sein konnte, aber trotzdem fühlte sie
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