Wellentraum
auf der Schwelle mit voller Wucht erwischt hatte.
»Was war das eben?«, fragte Caleb, als er ihr den Gang entlang folgte.
»Ich bin mir nicht sicher.« Margred rang um eine Erklärung, die sie beide zufriedenstellen würde. »Vielleicht habe ich, wie du sagtest, deine Schwester schon mal getroffen.«
»Und ihr beide habt es komplett vergessen«, bemerkte Caleb trocken.
Sie drehte sich zu ihm um. »Erinnerst du dich an alle, denen du je begegnet bist?«
»Eigentlich schon. Ja. Das gehört zu meinem Job.«
Zu diesem Mann. Margred ließ sich einen Moment Zeit, ihn zu bewundern, die nachdenklichen grünen Augen, den langen, kantigen Kiefer, den gefühlvollen Mund. Er war hartnäckig und besorgt, wachsam und pflichtbewusst.
Leicht auszunutzen, dachte sie, aber schwer zu täuschen.
Sie wechselte das Thema. »Wo soll ich schlafen?«
»Hier.« Er öffnete eine Tür vor ihr.
Margred erhaschte einen Blick auf zwei ordentlich bezogene Betten mit braunen Decken, von denen eine einladend aufgeschlagen war, so dass darunter frisch gestärkte weiße Bettwäsche zum Vorschein kam. Sie hob eine Augenbraue. »Zwei Betten?«
»Hatte er sich nun doch dazu entschlossen, bei ihr zu bleiben?«
»Das war mein Zimmer«, erklärte Caleb, ohne mit der Wimper zu zucken. »Meines und das meines Bruders.«
»Und wo schläft er?«
»Keine Ahnung. Er ist ausgezogen, als ich zehn war.«
Sie stand mitten auf dem verschlissenen beigen Teppich und sah sich in dem kleinen getäfelten Raum um. Nackte Wände und ein mit Büchern vollgestopftes Regal. Keine Bilder. Kein Schnickschnack. Nur ein paar schimmernde Statuetten, die Lorbeerkränze hielten, und einige Fotos über einem Schreibtisch. Sie identifizierte eine Reihe von jungen Männern, die nicht lächelten, als Sportmannschaft und das Kind mit dem Baby auf dem Schoß als Caleb und Lucy. Der Junge, der neben ihnen stand, wirkte einige Jahre älter.
»Ist das dein Bruder?«
Caleb hakte die Daumen in seine Gesäßtaschen ein. »Ja.«
Sie beugte sich vor, um einen Blick darauf zu werfen. Etwas an diesen versonnenen schwarzen Augen, diesem wirren schwarzen Haar, dem leicht mürrischen Mund …
Ihr Herz schlug schneller. Würde das erklären, dass …? Nein. Doch.
Nein.
»Wie heißt er?«, fragte sie.
Aber sie wusste es schon. In ihrem Herzen wusste sie es bereits.
»Dylan.«
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7
C aleb sah zu, wie Lucy in der Küche hin und her eilte, gerührt und mehr als nur ein bisschen amüsiert über ihre Versuche, ihn zu bemuttern. Als wären sie wieder vier und vierzehn Jahre alt und sie hätte ihn zu einer ihrer Teepartys mit ihrem Teddybären eingeladen.
»Eis.« Sie knallte einen Plastikbeutel vor ihm auf den Tisch. »Für dein Bein.«
»Meinem Bein geht es gut«, log er. Er balancierte den Eisbeutel auf dem Knie.
»Tee?«, bot sie als Nächstes an und schwenkte den Kessel.
Er brauchte Kaffee. Oder einen Scotch.
Aber er hatte noch eine lange Nacht vor sich, und er trank nie vor seiner Schwester. Wenigstens in ihren Augen wollte er anders als sein Vater sein.
»Tee wäre toll«, erwiderte er.
Sie verteilte zwei Teebeutel auf zwei Tassen und hielt zögernd inne, während ihre Hand in der Luft über der Kanne schwebte. »Meinst du, Maggie möchte auch eine Tasse?«
»Noch nicht«, sagte Caleb. »Sie wollte sich erst frisch machen. Ich habe ihr Handtücher gegeben und ihr das Badezimmer gezeigt.«
»Du bist sehr freundlich«,
hatte Maggie gesagt, als er die Hähne aufdrehte, um die Wassertemperatur zu regulieren.
Freundlich, zum Henker.
Er wollte sie nackt sehen. Er wollte sie selbst ausziehen und waschen, um ihre schönen Brüste mit den blassrosa Brustwarzen zu berühren, ihre glatte, wunderbare Haut.
Nein, er war nicht freundlich. Aber er war auch kein Volltrottel. Deshalb sagte er, sie solle rufen, wenn sie etwas brauche, und ging dann, da er seiner eigenen Selbstbeherrschung nicht traute.
Lucy biss sich auf die Unterlippe. »Glaubst du, das ist eine gute Idee? Sie könnte ohnmächtig werden. Oder ausrutschen.«
»Die Tür ist offen.« Ein Bild von Maggie, nackt, nass und verletzlich, schoss ihm durch den Kopf. Er räusperte sich. »Ich habe gesagt, dass sie deine Seife benutzen kann.«
»Natürlich.«
Er betrachtete das Gesicht seiner Schwester und versuchte herauszufinden, ob es ihr etwas ausmachte, dass sie sie im Schlaf gestört und sie zu Hause heimgesucht hatten. Als sie noch ein kleines Kind mit großen Augen gewesen war, hatte er gewusst, wie man sie zum
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