Wellentraum
wir.«
Und dann bäumte sich die See auf wie ein lebendiges Wesen, um in einer Drei-Meter-Welle an den Strand zu schlagen.
Die Woge krachte gegen Caleb, holte ihn von den Füßen und riss ihn den Strand hinauf. Wasser und Sand brodelten um ihn herum, brüllten in seinen Ohren und verstopften seine Nase. Grün und Grau und Gold durchsetzt mit Kies und Luftblasen.
Die Welle schleuderte ihn herum und raste mit ihm den Strand entlang. Seine Stiefel wurden wie Gewichte über die Felsen gezogen. Er wehrte sich aus Leibeskräften gegen die Woge, rang darum, wieder auf die Beine zu kommen. Atem zu schöpfen.
Panik drückte auf seine Lungen.
Maggie.
Auf allen vieren kroch er dem Sog davon, taumelte auf die Füße und sah sie ein paar Meter entfernt im knöcheltiefen, schäumenden Wasser stehen, die nassen weißen Kleider an ihren perfekten Kurven klebend.
Sie strich sich das triefende Haar aus dem Gesicht. »Jetzt bin ich aber wirklich wütend.«
Caleb musste fast grinsen. Er hustete und spuckte, um seine Lungen frei zu bekommen, und wischte sich das Salzwasser vom Mund. »Wo ist er? Wo ist …«
Der Mann, der behauptete, Dylan zu sein.
Maggie beschirmte ihre Augen gegen den gleißenden Sonnenschein und sah auf die unfassbar stille See hinaus. Das nunmehr wieder beruhigte Wasser zog sich flüsternd zurück, so dass ihre nackten Füße auf einem Flecken feuchten Sandes standen. »Da.« Sie zeigte auf einen seidig glänzenden, dunklen Kopf, der vor der Küste auf den Wellen tanzte. »Sag deinem Bruder auf Wiedersehen.«
»Verflucht«, schimpfte Caleb und suchte nach seinem Handy. Würde es noch funktionieren?
»Was tust du da?«
»Ich rufe Hilfe. Die Strömung hat ihn mitgerissen.«
»Sie hat ihn nicht mitgerissen. Siehst du?« Sie legte ihm die Hand auf den nassen Ärmel und zwang ihn hinzusehen. »Er schwimmt.«
Calebs blickte auf die See. Anstatt von der Strömung in Höchstgeschwindigkeit aufs offene Meer hinausgesogen zu werden, schien sich der schwarze, stromlinienförmige Kopf mühelos parallel zum Strand zu bewegen. »Er ist trotzdem zu weit draußen. Er kann nicht so weit schwimmen. Kein Mensch kann das.«
»Kein Mensch.«
Caleb runzelte die Stirn. »Das habe ich doch gesagt.«
»Kein
Mensch
kann so weit schwimmen. Dylan schon.« Maggie lächelte ihn an. Sie wirkte durchaus bei Sinnen, wenn auch etwas traurig. »Dein Bruder ist kein Mensch, Caleb.«
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14
C alebs Gesicht war verschlossen wie eine Muschel. Glatt und hart.
Margreds Mut sank. Er sah nicht aus wie ihr Geliebter. Er sah aus wie … nun ja, wie ein Mensch, der seine Tage damit verbrachte, die Taten und Motivationen anderer Menschen zu erforschen. Fast wünschte sie sich, ihre Worte zurücknehmen zu können.
Zu spät.
Sie war ihm die Wahrheit schuldig gewesen, seitdem er sie am Strand gerettet hatte. Seitdem sie über seine Mutter Bescheid wusste. Vielleicht schon seit dem Augenblick, als er in ihr gewesen war und ihren Namen geflüstert hatte.
»Du stehst unter Schock«, erwiderte er. Höflich. Unbeteiligt. »Ich bringe dich zu Donna Tomah.«
Er glaubte ihr nicht.
Das hatte sie auch nicht erwartet, und doch war sie versucht, ihm wie seinem Bruder eine Ohrfeige zu verpassen.
»Ich will keinen Arzt. Ich will, dass du mir zuhörst.«
»Oh, ich höre ja zu. Du solltest mal deinen Kopf untersuchen lassen.«
Sie zog die Lippen zurück. »Du hast gesagt, dass du die Wahrheit wissen willst.«
»Das stimmt. Tatsachen, keine Märchen.«
»Aber du willst dir keine Tatsachen anhören, die nicht zu deinen eigenen Theorien passen?«
Das saß, wie sie zufrieden registrierte. Sein Mund wurde zu einer dünnen, grimmigen Linie. »Gut. Na gut. Dann schieß los.«
Doch nun, da sie seine Aufmerksamkeit hatte, erdrückte sie schier die enorme Aufgabe, die vor ihr lag. Sie berührte die Kette an ihrem Hals. Zur Beruhigung? »Ich bin mir nicht sicher, wo ich anfangen soll.«
Sein Gesichtsausdruck wurde nicht weicher, aber sein grünäugiger Blick war geduldig und fest, als er dem ihren begegnete. Calebs Blick.
Der Blick eines Polizisten.
»Der Beginn ist normalerweise eine gute Idee«, sagte er.
Margred öffnete den Mund. Und schloss ihn wieder. Auf dem Grund des Gezeitentümpels wühlte sich ein Krebs durch einen Haufen Strandschneckenhäuser, tippte sie an, wog sie, verwarf sie wieder.
»Vielleicht sollten wir uns setzen«, schlug sie vor.
Er hob fragend die Augenbrauen, aber seine lange Gestalt ging in die Hocke und ließ sich auf
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