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Wellenzauber

Wellenzauber

Titel: Wellenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Johann
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Wahrscheinlich war ich nicht gerade frühreif, eher naiv für mein Alter. Erst nach dem Unfall wurde mir irgendwann klar, wie sehr ich ihn liebte.«
    »Oh«, war alles, was Kerstin von sich gab.
    »Nicht wie einen Bruder, sondern wie einen Mann. Du denkst vielleicht, ich war zu jung oder zu durcheinander, aber es stimmte wirklich, und ich habe mir meine Gefühle nicht ausgesucht.«
    »Das kann niemand.«
    »Was?«
    Die sonst so lustige und spöttische Kerstin verzog nicht einmal die Mundwinkel. »Kein Mensch kann sich seine Gefühle aussuchen.«
    Plötzlich war Sina froh darüber, dass sie endlich einmal alles erzählen konnte.
    »Und wie ging es weiter?«, fragte Kerstin gespannt.
    »Federico ist ein halbes Jahr lang bei mir geblieben. Er hat sogar die vorläufige Vormundschaft für mich beantragt. Aber dann kehrte eine Tante von mir aus Amerika zurück, und er hatte es plötzlich sehr eilig, mich loszuwerden. Ein paar Wochen später bekam ich von ihm eine Ansichtskarte von Sardinien. Hier.«
    Sie ging zum Bord und holte einen abgegriffenen Bandmit Rilke-Gedichten heraus. Sie schüttelte das Buch leicht aus, zum Vorschein kam eine zerknitterte, von alten Tränen wellige Karte. Nur zwei Sätze standen darauf: »Verzeih mir, aber ich musste gehen. Hier auf der Insel werde ich mir eine neue Existenz aufbauen.«
    »Er hat gekniffen«, meinte Kerstin. »Männer sind so. Wusstest du das nicht, Sina?«
    »Inzwischen schon. Aber damals habe ich geglaubt …« Sie brach ab.
    Kerstin runzelte die Stirn. »Wie er wohl ausgerechnet auf Sardinien gekommen ist?«
    »Das habe ich erst sehr viel später erfahren«, sagte Sina matt. Jetzt, wo sie ihre Geschichte losgeworden war, fühlte sie sich ausgelaugt. »Zum einen stammte seine Mutter aus Olbia, zum anderen hatte es etwas mit Professor Haber zu tun.«
    »Unserem Chefarzt? Der Übervater, der uns Hebammen immer seine fleißigen Bienchen nennt?«
    Sina nickte. »Genau. Federico hat bei ihm studiert, und Professor Haber unterhielt irgendwelche Verbindungen nach Sardinien. Genaueres hab ich nicht rausgekriegt. Jedenfalls wusste er wohl damals von einer vakanten Stelle und hat Federico empfohlen. Das muss alles sehr schnell gegangen sein.«
    »Aha«, meinte Kerstin und drehte die Karte eine Weile in den in den Händen. »Trotzdem ist an der Sache irgendetwas faul.«
    Sinas Herz setzte einen Schlag aus. »Wie meinst du das? Federico hatte Angst vor der Verantwortung und hat mich im Stich gelassen. Was sollte sonst noch sein?«
    Langsam legte Kerstin die Karte auf den Tisch. »Na ja«, sagte sie dann nachdenklich. »Er hatte dich doch schonerfolgreich bei deiner Tante untergebracht. Die Verantwortung war er also los. Was für einen Grund gab es dann noch, so weit weg zu ziehen? Er hätte hier in Deutschland doch bestimmt groß Karriere machen können, wie die meisten Zöglinge vom alten Haber. Also, wenn du mich fragst: Irgendein Problem hat der Typ mit seinen Gefühlen auch gehabt.«
    Sina starrte die Freundin an. Dieser Gedanke war ihr in den ganzen Jahren noch nicht gekommen. Und was, wenn es stimmte? Wenn Federico sie auch geliebt hatte?
    Ein Schluchzen drang aus ihrer Kehle, und sie schlug schnell die Hand vor den Mund.
    Wie immer zu dieser Abendstunde war die Innenstadt von Olbia hoffnungslos verstopft. Touristenströme wälzten sich durch die Gassen, auf den etwas breiteren Straßen stauten sich die Autos. Federico fluchte leise vor sich hin, drückte auf die Hupe und wich einem Kleinlaster aus, der gefährlich hoch mit Obst und Gemüse beladen war. Die Sonne ging bereits unter, und rasch legte sich südliche Dunkelheit über Land und Meer. Olbia hat sich bis heute einen Provinzcharakter bewahrt, kaum ein Gebäude ist höher als zwei Stockwerke, nicht einmal an der Haupteinkaufsstraße Corso Umberto . Trotzdem hatte auch Federico in den vergangenen Jahren die rasanten Veränderungen bemerkt. Die Stadt wurde immer voller und gleichzeitig immer vornehmer. Wo vor zehn Jahren noch Kramläden gestanden hatten, entdeckte er heute Nobel-Boutiquen. Wo er einst am Hafen bei einem Glas Wein gemütlich den Tag ausklingen lassen konnte, fand er nach dem Ausbau der Promenade kein einziges ruhiges Plätzchen mehr.Federico sehnte sich danach, wieder einmal hinaus in die Natur zu kommen und ganz für sich zu sein. Eine lange Wanderung im Supramonte , dem zerklüfteten Kalksteinmassiv an Sardiniens Ostküste, war genau das, was er jetzt brauchte, um sich zu entspannen. Er liebte diese

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