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Weller

Weller

Titel: Weller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit
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hatte er zur betreffenden Zeit das Weite gesucht. Ich befürchtete jedoch, Zorns leicht masochistische Ader hätte ihn in seiner Wohnung ausharren lassen. Er zeigte eine fatale Tendenz zur Unbeweglichkeit, zum stillen Vor-sich-hin-Leiden. Doch was erwartete ich anderes bei jemandem, dem während langer Haftjahre beinahe jede Eigeninitiative, jeder Impuls Dinge aktiv zu verändern zwangsläufig abhanden gekommen war. Es grenzte schon an ein Wunder, mit welcher Energie er sich seinem Hobby, der Fotografie, widmete. Als er dann beim öffentlichen Bouleplatz am Alten Hafen aufgetaucht war, beim ersten Mal nur uns Spielern zusah, am zweiten Sonntag schon mit eigenen Kugeln am Geschehen teilnahm, da hatte ich innerlich frohlockt. Er machte Fortschritte!
    »Fahrrad oder Auto?« Ellen schlenderte durch die Terrassentür ins Zimmer und schob sich die dunkle Brille die Stirn hinauf. Nach dem Frühstück hatte sie sich mit einem Buch in ihren Liegestuhl zurückgezogen. Sie hatte gerade eine große Arbeit beendet, eine abstrakte Zweimeterfigur aus Eichenholz mit eingelassenen Messing- und Kupferobjekten, die das Foyer einer Rostocker Bank zieren würde. Die nächsten Tage wollte sie   einfach nur nichts tun , wie sie es ausdrückte. Aber ich wusste, wie schnell sie der Untätigkeit überdrüssig werden würde. Als sie nun, in Shorts und Hemdchen, neben mich trat, spürte ich die Sonnenwärme, die ihre Haut ausstrahlte, roch einen Hauch Ozon und antwortete: »Von mir aus gern per Rad. Damit machen wir die Schlemmerei von gestern wett.« Ellen war zwar eine eher unwillige Köchin, die, wenn sie an der Reihe war, nur selten etwas Anspruchsvolleres als Nudeln mit Pesto oder eine Gemüsesuppe servierte. Doch wenn sie uns dann einmal etwas Richtiges, wie wir es nannten, zubereitete, dann waren ihre Kreationen unübertroffen. Wir hatten Bouillabaisse genossen – seit ihrem ersten Auslandsurlaub gleich nach dem Mauerfall, der sie mit Anfang zwanzig an die Côte d’Azur geführt hatte, schwärmte sie für die mediterrane französische Küche. Zur Suppe aus Meeresfrüchten hatten wir Croûtons mit Knoblauchmayonnaise gegessen, als Dessert das Zimt-Parfait, das ich zu unserem Gelage beigetragen hatte. Der Bandol Rouge, den wir dazu geöffnet hatten, war ebenfalls nicht unbedingt kalorienarm gewesen. Besonders die zweite Flasche.
    »Okay, ich bin sofort fertig.« Entgegen des landläufigen Vorurteils, dass diese Aussage bei Frauen exakt das Gegenteil bedeutet, stand Ellen zwei Minuten später wieder vor mir. Die Shorts hatte sie gegen eine schwarze Leinenhose getauscht, an den Füßen trug sie nun Ledersandalen und über dem Hemdchen eine offen stehende Bluse, auf der riesige Mohnblüten leuchteten. In der Hand hielt sie ihren Strohhut mit der breiten Krempe.
    »Voilà!«
    Auf der Fahrt von Fischkaten in die Altstadt fuhr ich hinter ihr, erfreute mich an ihrem Anblick, beglückwünschte mich dazu, ein Jahr nach meiner Übersiedelung nach Wismar diese Frau gefunden zu haben. Ihr langer dunkler Zopf baumelte bis zur Taille, sie trat bedächtig und doch kraftvoll in die Pedale. Ganz so, wie sie das Leben insgesamt anpackte. Wie anders als Grit, meine Ex-Frau, Ellen doch war. Schon manches Mal hatte ich zu ergründen versucht, welche geheimen Parallelen es zwischen den beiden wohl geben mochte. Grit, das war eine impulsive, beinahe burschikose und dennoch zartfühlende Sozialpädagogin, die fast ihr gesamtes Berufsleben Mädchen und Frauen mit Essstörungen widmete, für die sie zugleich Mutterersatz, Freundin und fordernde Autorität darstellte. Und hier vor mir radelte Ellen, die bildende Künstlerin mit manchmal ausufernder Fantasie und Phasen der stillen In-sich-Zurückgezogenheit, ein warmherziger Familienmensch mit einem breit gefächerten, eher akademischen Interesse für gesellschaftliche und politische Themen. Auch äußerlich waren beide völlig unterschiedlich. Grit war zwei Köpfe kleiner als ich, blond und wirkte irgendwie asketisch. Ellen war fast ebenso groß wie ich, beinahe schwarzhaarig und athletisch gebaut. Immerhin hantierte sie bei ihrer Arbeit mit Kettensägen und anderen schweren Werkzeugen. Es schien kaum mehr Übereinstimmung zwischen beiden Frauen zu geben als ihren Geschmack, was Männer anbetraf. Nun, wahrscheinlich hatten sich meine eigenen Vorlieben in den Jahren verändert.
    Als Lars, unser Sohn, flügge geworden war – er lebte inzwischen als Immobilienmakler in Kalifornien – da bemerkten Grit und ich

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