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Weller

Weller

Titel: Weller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit
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hetzte zurück zu mir, dann blitzschnell wieder zu Ellen. Plötzlich machte er zwei roboterhafte Schritte auf mich zu, den Arm mit der Flasche erhoben.
    In seinen Augen standen Verzweiflung und Wahnsinn. Ich erstarrte, kämpfte meinen Fluchtreflex nieder, stellte mir vor, wie die Säure auf meine Gesichtshaut spritzen würde. Matzke zögerte einen kurzen Moment, eine Millisekunde schien er zu zweifeln, ob er die Lage richtig beurteilt hatte.
    Ellen ließ ihm keine Zeit, das zu entscheiden. Mit einem wilden Sprung war sie bei ihm. Er hatte sie gehört, wirbelte herum. Ich schnappte nach Luft. Sie rammte den Stechbeitel ohne Zögern, mit großer Kraft in seine Brust. Er ging sofort in die Knie, die Flasche entglitt seinem Griff und zerschellte auf dem Beton. Er umfasste den aus seiner Brust ragenden Werkzeuggriff, um den herum sich sein schwarzes T-Shirt dunkel färbte. Ellen und ich rührten uns nicht. Der Hausmeister gab ein Geräusch von sich, als würde Luft aus einer Luftmatratze entweichen, und sackte vollends in sich zusammen.
    Für einen Augenblick schien es mir, als wäre die Welt aus den Fugen geraten. Die Kontinentalplatten verschoben sich knirschend, die Gravitation war aufgehoben, sämtlicher Weltinhalt stürzte mit Getöse durcheinander – obwohl es totenstill war. Da ging ein Zittern durch Matzkes zusammengesunkenen Körper und er versuchte, sich aufzurichten.
    Als wären die in den letzten Monaten angesammelten Frustrationen, wären all die Selbstvorwürfe, die Ängste und die Ohnmacht zu einem gigantischen Glutball des Zorns kulminiert, handelte ich. Mit einem einzigen großen Schritt griff ich mir einen der Holzhämmer von der Werkbank und hieb ihn dem Mistkerl über den Kopf. Das Geräusch des berstenden Schädelknochens werde ich niemals vergessen. Im Rückblick schrecke ich vor mir selbst zurück, denn es war gerade dieses Geräusch, das mich mit einer unsagbaren Erleichterung und Befriedigung erfüllte. Ein Glücksgefühl durchströmte mich, so stark, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Von Ellen kam ein Geräusch zwischen Seufzen und Weinen. Ich wirbelte zu ihr herum. Sie war schreckensbleich und ihre Haare hingen wirr über die nackten Schultern. Ein unartikulierter Laut, irgendetwas zwischen Schreckens- und Mitleidsäußerung, entwich meiner Kehle. Ellen schlotterte und machte einen schwankenden Schritt auf mich zu. Ich umfing sie mit meinen Armen, ohne zu merken, dass ich mit der Rechten noch immer den Holzhammer umkrampft hielt.
    Und erst jetzt, während wir minutenlang in schweigender Umarmung dastanden, war mir mit aller Gewissheit, zu der ich in meiner aufgewühlten Geistesverfassung fähig war, klar: Es war vorbei!
    ***

Die Zeit stand still. Die Sekunden verharrten im niedrigen, holzgetäfelten Raum, hockten zwischen den auf den schmucklosen Tischen stehenden Monitoren, starrten mit lidlosem Blick auf den Kassentresen, hinter dem ein runder Schwarzer mit Batikhemd und Nerdbrille regungslos seine Kunden überwachte, Videofilme und Telefonkarten verkaufte. Von Zeit zu Zeit löste sich eine der Sekunden, tropfte hinab auf den imitierten Perserteppich, verging mit einem unhörbaren Seufzer. Dann stand wieder die Zeit still. Andere starben, ebenso lautlos, auf dem ausdruckslosen Gesicht des alternden Bewährungshelfers, der braun gebrannt, in Shorts und Polohemd, an einem der Computerterminals saß und auf den Text einer E-Mail starrte.
    Ich räuspere mich; streiche mir mehrmals über meinen Schnauzbart und klicke auf Antworten. Dann sitze ich minutenlang bewegungslos, atme flach die klimatisierte Luft. Irgendwann schließe ich das Antwortfenster wieder und besehe mir die anderen eingegangenen E-Mails. Von der Main Road erklingen für einen Moment wütendes Hupen und Rufe, die ich nicht verstehe, die mich jedoch auch nichts angehen. Ich bin so etwas wie ein Tourist, seit ich heute morgen die   Merve , jene Yacht, auf der ich hierher nach Simon’s Town gekommen bin, verlassen habe. Mein Job, Decksmann während der Überführungstour der Yacht nach Südafrika, ist damit beendet.
    Gut zwei Monate sind vergangen, seit ich Wismar, meine Heimat und meine Liebste verlassen habe. Zeit, um mir dar-über klar zu werden, wer ich bin, wohin ich gehe, weshalb ich zu dem geworden bin, der ich nie geglaubt habe, zu sein. Zeit genug, um diese Geschichte niederzuschreiben. Während draußen auf der Hauptstraße von Simon’s Town, einer auf der Kap-Halbinsel gelegenen kleinen Stadt am Meer, der

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