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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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tut uns sehr leid. Ich glaube, wir sind jetzt alle nicht in der rechten Verfassung, um hier zu arbeiten, also lass uns einfach warten.«
    »Zurück!« Ich legte eine Hand auf den Tisch.
    »Nein«, wandte Mom ein. Sie kam um den Tisch herum. »Bitte nicht, John. Geh bitte nach oben …«
    Ich hielt ihr Handgelenk fest und drückte zu, bis meine Knöchel weiß anliefen. »Stör mich nicht dabei.« Ich stieß sie fort.
    »Bitte, John«, rief sie, »tu das nicht! Tu ihr nicht weh …«
    »Es ist ein Es!«, rief ich und knallte die flache Hand auf den Tisch. »Dies ist keine Person und kein menschliches Wesen, es ist nicht mal ein Tier! Es ist ein Beweisstück! Es ist …«
    »Es verdient unseren Respekt«, erwiderte Mom. Wütend starrte ich sie an, der blanke Hass kochte in mir, doch sie hielt dem Blick stand. Du bist nicht auf sie wütend, sagte ich mir. Nur auf den Dämon. Finde den Dämon, alles andere ist unwichtig.
    Ich nickte und holte tief Luft. »Schon klar. Mit Respekt. Aber versuch mich nicht aufzuhalten.«
    Margaret wechselte einen besorgten Blick mit Mom. Ich achtete schon nicht mehr auf sie und betrachtete die Leiche. Sie war bleich, fast blau. Wenn Rachel ebenso stark geblutet hatte wie Marci, dann musste diese Leiche viel weniger Blut enthalten als die meisten anderen. Ein starker Gegensatz zu den verstümmelten älteren Männern, an denen wir in letzter Zeit immer wieder gearbeitet hatten. Die Haut war nicht faltig und runzlig, sondern glatt, hell und völlig unversehrt. Brüste und Schoß waren mit blauen Tüchern bedeckt, der Bauch dazwischen war flach und makellos. Man hatte keine Autopsie durchgeführt, es gab keinen Y-Schnitt, keinerlei Wunden. Wären nicht die großen Verletzungen an den Unterarmen und die Einbalsamierungsschläuche gewesen, die Mom und Margaret schon mit den Schlüsselbeingefäßen verbunden hatten, dann wäre der Körper geradezu makellos gewesen.
    Ich hob einen Arm der Leiche, um die Wunde näher zu betrachten, und stellte genau wie bei Marci im Gelenk einen leichten Widerstand fest. Rachel war schon viel zu lange tot, die Starre musste sich längst aufgelöst haben, und Marci war noch nicht lange genug tot. Warum waren sie steif? Ich überprüfte den Arm, das Schultergelenk, den Ellbogen und das Handgelenk. Die Gelenke waren schwer zu bewegen, aber nicht völlig blockiert, der Widerstand war gerade stark genug, um mein Misstrauen zu wecken. Dann bewegte ich die Beine, die sich genauso anfühlten. Danach fiel mir nichts mehr ein. Ich ließ das Bein sinken. Hob es wieder, fluchte und legte es ab. Was konnte ich noch weiter untersuchen?
    Abermals betrachtete ich die Wunden, hob nacheinander beide Hände hoch, musterte die Handfläche und stieß mit dem Skalpell dagegen. Der Gerichtsmediziner hatte sie gründlich gesäubert, und ich entdeckte nichts Ungewöhnliches: lange, saubere Schnitte auf den Unterarmen in Längsrichtung, die auf einer Länge von fast zwanzig Zentimetern die Arterie geöffnet hatten. Die Schnittwunden endeten unmittelbar vor den Handgelenken. Am Handgelenk tastet man den Puls, dachte ich. Eine Wunde wie diese blutete unaufhaltsam, und der Körper war binnen weniger Sekunden völlig leer.
    Sie war verblutet, genau wie Marci. Warum tötete Niemand sie auf diese Weise? Was hatte sie davon? Was hatte es zu bedeuten?
    Ich musste mich beruhigen und die Situation von allen Seiten betrachten. Was hatte die Mörderin getan, das sie nicht hätte tun müssen? Wenn sie töten wollte, dann reichte es aus, jemanden ausfindig zu machen und umzubringen. Sie konzentrierte sich aber auf hübsche junge Mädchen, die durchweg beliebt waren. In gewisser Weise war es als Steigerung zu betrachten, dass sie nach dem Mauerblümchen Jenny zuerst die aktivere Allison, dann Rachel und schließlich das Energiebündel Marci getötet hatte. Jedes Opfer war mir einen Schritt näher gewesen als das vorherige, doch ich war nicht sicher, ob dies schon alles erklärte. Möglicherweise spielte auch die Lebensweise der Mädchen – Aussehen, Kleidung und Verhalten – eine wichtige Rolle. Was brachte jemanden dazu, attraktive und beliebte junge Mädchen zu töten? War es ein Verlangen? Eifersucht?
    Dann die Verletzungen selbst. Warum war es nötig, die Morde als Selbstmorde darzustellen? Und auf welche Weise erzeugte die Mörderin diesen Eindruck? Noch einmal untersuchte ich Rachels Körper, konnte jedoch keinerlei Verletzungen finden, die auf Gegenwehr hinwiesen. Keinerlei Risse und Schnitte

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