Wells, ich will dich nicht töten
in den Händen, keine Quetschungen an den Armen, die von einem Angriff oder einem harten Griff herrührten. Keine Schürfwunden von einem Seil, also war das Opfer auch nicht gefesselt gewesen. Alles deutete darauf hin, dass Rachel freiwillig in den Tod gegangen war. Die Schnittwunden an den Unterarmen waren sauber und gerade, präzise ausgeführt, während sie die Arme völlig ruhig gehalten hatte. Schaltete Niemand die Gegenwehr auf ganz andere Weise aus? Sie war eine Dämonin, also besaß sie übermenschliche Fähigkeiten. Versetzte sie die Opfer in Schlaf, steuerte sie deren Gedanken? Doch wie die Blutspritzer im Bad verrieten, hatte Marci Widerstand geleistet. Allerdings hatte sie sich gegen keinen äußeren Gegner gewehrt. Welch ein Durcheinander.
Ich nahm einen Kamm und suchte die Haare ab, entdeckte auf der Kopfhaut jedoch keinerlei Prellungen oder Verletzungen. Auch die Schädelbasis war in Ordnung – keine Schnittwunden, keine Einstiche. Nicht einmal der winzige rote Punkt, der nach einer Injektion zurückblieb.
»Hilf mir, sie umzudrehen.« Ich winkte Mom und schob die Hände unter Rachels Schultern. Mom legte mir eine Hand auf den Arm und hielt mich auf.
»Darum kümmern Margaret und ich uns. Du schließt die Augen.« Sie nickte Margaret zu, die langsam herüberkam. Die beiden stellten sich links neben die Leiche und blickten mich an. Ich schloss die Augen, hörte Stoff rascheln und Füße scharren, dann klickten Fingernägel auf dem Behandlungstisch. »Fertig.«
Ich öffnete die Augen, und tatsächlich lag der Körper nun auf dem Bauch, das Gesäß war mit einem Tuch bedeckt. Der Rücken war dunkel verfärbt, doch das schien mir normal, weil sich das Blut an der tiefsten Stelle des Körpers sammelte. Ich stieß den Rücken leicht an und tastete nach Löchern oder Schnittwunden, doch auch da war nichts zu finden. Seufzend stützte ich mich auf den Tisch.
»Jetzt gibt es nur noch eine Stelle, die überprüft werden muss, und ich gehe jede Wette ein, dass ihr das selbst tun wollt.«
Mit feuchten roten Augen starrte Mom mich an. »Glaubst du, sie wurde vergewaltigt?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht.«
»Dann tun wir es nicht, und du wirst es auch nicht tun«, widersprach Mom.
Kalt und völlig ruhig blickte ich sie an. »Ich gebe dir nur diese eine Gelegenheit. Tu es, sonst erledige ich es selbst. Wahrscheinlich ist nichts zu finden, aber es dürfen nicht noch mehr Menschen sterben, nur weil wir wegen deines Schamgefühls einen Hinweis übersehen.« Wir starrten einander an, es war ein Wettstreit der Willenskraft, bis sie grollend zum Tisch kam.
»Wonach soll ich suchen?«
»Gewebeschäden, Verletzungen – alles, was uns verraten könnte, wer sie getötet hat und warum.«
»Gut. Schließ die Augen.«
Ich gehorchte und lauschte, während Mom und Margaret mit dem Tuch raschelten und sich leise verständigten. Dann drehten sie die Leiche um und flüsterten weiter.
Da ist nichts, dachte ich unterdessen. Vielleicht gibt es wirklich keine sichtbaren Anzeichen. Vielleicht ist es rein geistige Gewaltanwendung, die keinerlei körperliche Spuren hinterlässt. Vielleicht fassen wir die Dämonin niemals.
»Nichts«, berichtete Mom. »Absolut nichts.«
Seufzend und völlig erschöpft lehnte ich mich an die Wand. »Dann haben wir verloren. Was gäbe es sonst noch zu tun?« Mom trat zu mir und legte mir eine Hand auf die Schulter.
»Ruh dich aus.« Sie schob mich langsam zu einem Stuhl, auf dem ich kraftlos niedersank. »Deine Freundin ist tot, deine beste Freundin. Damit musst du fertig werden. Kein Wunder, dass du nicht weiterweißt.« Sie lächelte, schmal und schmerzlich, und schüttelte den Kopf. »Kaum jemand würde in einem solchen Moment eine Amateurautopsie versuchen, aber ich weiß wenigstens, dass du das Herz auf dem rechten Fleck hast.«
»Mein Herz hat damit nichts zu tun.«
»Ruh dich erst einmal aus, nimm dir etwas Zeit«, wiederholte sie. »Lass uns nach oben gehen und etwas essen. Margaret kann die Behandlung auch allein durchführen. Du bist heute Morgen ohne Frühstück aus dem Haus gegangen. Kein Wunder, dass du dich jetzt schwach fühlst.«
Ich starrte den leblosen und beinahe blutleeren Körper auf dem Metalltisch an. Aus der Schulter hingen die Schläuche für die Einbalsamierungsflüssigkeit.
Fast blutleer. Trotzdem war der Rücken verfärbt und voller Blutergüsse wie bei anderen Leichen.
Unvermittelt stand ich auf. »Schalt die Pumpe ein!« Ich ging zur Wand und holte
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